Ökonomienobelpreis für die Verhaltensökonomik von R. H. Tahler
In diesem Jahr geht der durch die Schwedische Reichsbank 1968 geschaffene Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaft an Richard H. Thaler von der University of Chicago. Auch in diesem Jahr wird wieder darauf hingewiesen werden, dass Alfred Nobel niemals auf diese Ehrung für die Wirtschaftswissenschaft gekommen wäre. In einem Brief teilte er mit: „Ich habe keine Ausbildung in Ökonomie und hasse sie aus tiefstem Herzen“. In diesem Jahr hätte Alfred Nobel sicherlich gute Gründe, dem neuen Preisträger zu gratulieren. Richard H. Thaler gehört zu den Begründern einer Verhaltensökonomik (behavioral economics). Reales Verhalten der ökonomischen Entscheidungsträger lässt sich nur durch die Einbeziehung der Psychologie verstehen und beeinflussen. Thaler hat das Modell des „homo oeconomicus“, der seinen Nutzen ohne Rücksicht auf sich und seine soziale Umwelt zu maximieren versucht, demontiert. Schon vor vielen Jahren vergleicht er spöttisch diese Kunstfigur einer mathematisierten Ökonomik mit einem Menschen, der „wie Albert Einstein denkt, Informationen wie IBMs Supercomputer Deep Blue speichert und eine Willenskraft von Mahatma Gandhi hat.“ Der wirkliche ökonomische Entscheider unterliegt dem Irrtum, lässt die Selbstkontrolle (etwa bei Kreditkarten) vermissen. Soziale Folgen, Fairness und gesellschaftliches Engagement bestimmen den real existierenden Entscheider. Wie etwa der Wille zur Fairness unternehmerische Entscheidungen beeinflusst, dazu einige Beispiele: Wenn es etwa plötzlich massiv regnet und die Regenschirme wegen des Nachfragedrucks nach oben getrieben werden, dann gilt diese Preissetzung als unfair und das Angebot wird boykottiert. Auch in der Lohnpolitik hat der Fairnessgedanke Einfluss. Werden die Löhne selbst in einem in die Krise geratenen Unternehmen stark reduziert, dann löst diese Fairnessverletzung Instabilität aus, die es zu vermeiden gilt. Wie ein Forscherteam um den US-Notenbank-Ökonomen Christopher Foote aus den Untersuchungen von Thaler schlussfolgert: "Solche Gefühle erklären möglicherweise die große Unterstützung für Gesetze, die Ökonomen für wirtschaftlich ineffizient halten, zum Beispiel Preisobergrenzen und Mindestlöhne."
Tahler bleibt jedoch nicht bei der Beschreibung kurioser ökonomischer Verhaltensweisen im praktischen Wirtschaften stehen. Er sucht nach psychologischen Instrumenten, dieses dem Entscheider selbst schadende Verhalten zu überwinden. Berühmt geworden ist sein Beispiel zur betrieblichen Altersvorsorge in den USA. Bietet das Unter-nehmen diese allen an, dann kümmern sich die Nutznießer oftmals nicht darum, verschlampen die Chance. Gegenüber diesem „Opting in“ schlägt er ein „Opting out“ vor. Das Unternehmen übernimmt die Regelung für alle und wer nicht will, muss nach eigener Entscheidung aussteigen. Diese Regulierung lässt sich auf die Sicherung von Organspenden übertragen. Prinzipiell wird jeder als Organspender registriert. Wenn er das ablehnt, muss dies erklärt werden.
Wie aber wird mit Neigungen bzw. Präferenzen umgegangen, die selbst den Betroffenen schädigen? Den neuen Ansatz von Thaler zeigt der Vergleich: Der klassische Fall ist das Rauchverbot. Wegen der schädigenden Wirkung setzt der Staat Ge- bzw. Verbote durch. Diesem staatlich autoritären Paternalismus setzt Tahler seinen „libertären Paternalismus“ entgegen. Hier kommt die mit Cass Sunstein entwickelte Theorie der „Nudges“ zum Zuge (gut beschrieben in dem Buch „Wie man kluge Entscheidungen anstößt“). Kleine Anstöße, die sog. Nudges, dienen letztlich der selbst gewollten „klugen Entscheidung“. Entscheider sind zu behäbig, im eigenen Interesse eine bessere Ernährung durchzusetzen. Das Obst und Gemüse, welches in einem Restaurant in Augenhöhe wahrgenommen werden, stoßen vernünftiges Verhalten an. Also nicht Ge- oder Verbote oder der Zwang zum Veganeressen dominieren, sondern der kluge Anreiz wird gesetzt. Übrigens wird diese Theorie das Anschubsens auch in der Marketing-Kommunikation benutzt.
Der diesjährige Nobelpreisträger stärkt die realistische Forschung über ökonomische Entscheidungen. Diese Preisverleihung ist eine Kampfansage an die mathematische Modellökonomie, die von der Ideologie, Marktgesetze regelten alles optimal, ausgeht. Die Aufnahme des Werks von Thaler ist den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten eindringlich zu empfehlen. Die praktische Relevanz hat auch Barack Obama, der ihn als Berater nutzte, erkannt.