Nach dem Brexit – Was nun?
Das Unfassbare, aber Erwartbare ist geschehen: Wenn auch mit einer knappen Mehrheit
verlangen 51,9 Prozent den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Vor dem
Volksentscheid war schon klar, der Preis dieses Exits ist eine nachhaltige Schwächung
der britischen Wirtschaft durch massive Wachstumsverluste, steigende Arbeitslosigkeit,
Turbulenzen auf den Finanzmärkten und die Flucht in Goldanlagen. Der Vertrauensverlust
in das System United Kingdom hat das englische Pfund auf Tiefstwerte, die letztmals
vor dreißig Jahren erreicht wurden, abstürzen lassen. Der Pfundabsturz wird durch
Kursverluste an den Aktienbörsen begleitet. Analysten schätzen den mittelfristigen
Kursverlust beim Pfund auf bis zu 20%.Die schwerwiegendsten Belastungen der britischen
Wirtschaft: Abwertung des Pfunds zusammen mit den durch den Ausstieg aus dem Binnenmarkt
wieder einzuführenden Zöllen.
Die Gewinner des Kursverlustes sind die Euro-Touristen
in Großbritannien und die exportierende Wirtschaft des Vereinigen Königreichs. Die
gesamtwirtschaftlich bittere Kosten-Nutzenanalyse zeigt sich im Absturz des Wirtschaftswachstums.
Ausländische Direktinvestoren verlassen das Land. Der Finanzplatz London könnte massiv
übrigens zugunsten des Frankfurter Standorts empfindlich schrumpfen. Das Kapital fließt
vor allem in den Dollarraum. Um den Worst Case zu verhindern, stehen wieder mal die
Notenbanken für Rettungsaktionen bereit.
Deutschlands Wirtschaft wird als drittgrößer Exporteuer Erlöseinbußen hinnehmen müssen. Derzeit fließen noch acht Prozent der deutschen Exporte nach Großbritannien (Platz drei der Gesamtexporte aus Deutschland). Nach Schätzungen des „Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung“ wird durch den Brexit das Wirtschaftswachstum in Deutschland von 1,7% für 2017 prognostiziert um 0,5 % auf 1,2 % zurückgehen. Wichtigste kurzfristig wirkende Ursache: Die Exporte nach Großbritannien werden durch die Abwertung des Pfundkurses zu Erlösschmälerungen führen. Zusammen mit den vielen anderen Risiken könnte sich die deutsche Wirtschaft in Richtung Stagnation bewegen.
Wie konnte es trotz dieser absehbar wirtschaftlichen Schäden zu diesem Votum „Raus aus der EU“ kommen? Mit einem Wort, ökonomisch rationale Gründe spielten kaum eine Rolle. Vielmehr geriet der Frust über die Politik aus dem Londoner Regierungszentrum zusammen mit dem feindselig wahrgenommenen Brüssel zu den angstvollen Triebkräften. Als sei die EU eine Besatzungsmacht schwadronieren jetzt die EU-Aussteiger vom „Unabhängigkeitstag“. In Wahrheit war die Regierung seit 1973 oftmals auch sehr lautstark bei allen EU-Entscheidungen dabei. Es flossen auch Finanzmittel für die Wirtschaftsstrukturpolitik aus Brüssel zurück in die britischen Regionen. Übrigens die Rechnung für die Mitgliedschaft hatte Maggy Thatcher 1984 auch zu Lasten Deutschlands reduziert. Massiven Einfluss auf den Exit hatte die Vorstellung, durch Renationalisierung stärker zu werden. Die EU-Institutionen müssen aber auch ihren Beitrag zum Frust in der Gemeinschaft vermessen. Die intransparente Gipfelkrisenpolitik sowie die autoritär wirkende Kommission haben die Exitanhänger bestärkt. Der verbürokratisierten EU fehlt die Vision. Eine Lehre aus dem Brexit ist, die EU braucht einen Konvent mit dem Ziel, die Vergemeinschaftung durch Reformen zu stärken.
Wie geht es weiter? Der Premier versucht eine Verzögerungstaktik. Aber Klarheit muss nicht nur für die Finanzmärkte, sondern die anderen Länder in der EU geschaffen werden. In spärlichen Worten beschreibt Artikel 50 des Lissabonner Vertrags die auszuhandelnden Regeln zwischen dem Austrittsland und der EU. Maximal zwei Jahre sind für den Abschlussvertrag zum endgültigen Austritt fixiert. Großbritannien spekuliert sicherlich auf den Umweg, über Freihandelsabkommen wieder die Vorteile des Binnenmarkts zu nutzen. Da liegt das Norwegenmodell nahe: Aus der EU raus, aber Nutzung der Binnenmarktvorteile. Oder vergleichbar der Schweiz werden Freihandelsabkommen für die einzelnen Märkte abgeschlossen.
Jedoch, Austritt + Binnenmarkt geht nach dem Brexit nicht. Es sollte allerdings alles getan werden, den Wiedereinstieg vorzubereiten. Der letzte Satz im Austrittsartikel, der auf den erneuten EU-Einstieg nach Artikel 49 verweist, sollte zur Leitlinie erhoben werden. Die Wiederaufnahme bleibt zusammen mit einer stärkeren Demokratisierung zugunsten der jungen Generation die zentrale Aufgabe. Denn gegenüber den über 65-Jährigen haben sich die Jungen für Verbleib in der EU entschieden. Dem Brexitentscheid der Alten setzen die Jungen auf Demonstrationen nach dem Volksentscheid entgegen: den Bregret, d.h. Britain plus Regret (Bedauern)
Großbritannien wie der gesamten EU kann geholfen werden: Eine grundlegende Reform der kritisierten EU-Institutionen mit einer Stärkung der demokratischen Basis steht auf der Tagesordnung. Weiterentwicklung der Gemeinschaft, nicht Rückschritt in die Nationalisierung ist geboten.