Verliert Bremen an industrieller Basis?
1. Grundlegend hat sich an der Relevanz des Verarbeitenden Gewerbes für die Bremer Wirtschaftsstruktur kaum etwas verändert.
2. Die Handelskammer irrt, wenn sie sagt, zurückgehende Umsätze im Verarbeitenden Gewerbe würden den Standortverlust belegen: (1) Berücksichtigt werden müssen die Vorleistungen, also die Nettogröße. (2) Es kann einzig und allein ein großes Unternehmen, das Umsätze verliert, den Rückgang bewirken. Deshalb ist eine Verallgemeinerung unzulässig. (3) Übrigens ist Hamburg trotz eines starken Rückgangs immer noch am selben Spitzenplatz, weil der Abstand zu anderen Städten zuvor so groß ist. (4) Die Verflechtung mit dem Umland wird nicht bewertet. (5) Vor allem aber die Rolle der produktionsnahen Dienstleistungen wird ausgeklammert. Zu Recht spricht der scheidende Präsident der HK an, die anderen Städte hätten durchaus auch gegenüber Bremen aufgeholt. Daraus lässt sich jedoch eine wettbewerbsstrukturelle Überlegenheit gegenüber Bremen (noch) nicht ablesen. Abgesehen davon, dass bei den Platzierungen der Großstädte bei 5 bis 10 die Werte sehr eng beieinander liegen, in einigen Bereichen holen diese Städte auf (nachholende Entwicklung). Entscheidend ist doch, wie Bremen künftig innovatorische Dynamik entwickelt. Deshalb muss sich die Bremer Wirtschaft immer wieder neu erfinden. Vor allem muss die Landesregierung mit ihrer Wissenschafts-Wirtschaftspolitik Akzente setzen. Das Land Bremen droht die derzeitige noch einigermaßen komfortable Situation auszusitzen. Es gibt keine erkennbare wirtschaftspolitische Strategie, die künftig wirkende Innovationskraft zu stärken. Zukunftsstärkende Projekte aktiver Wirtschaftspolitik sind nicht in Sicht. Wo ist ein Konzept, das den Ausbau der wissensfundierten Wirtschaft in Bremen mit vielen Unternehmensgründungen entwirft? Die mangelnde Aktivität hängt wohl auch mit dem fehlenden fiskalischen Spielraum unter dem Regime der Schuldenbremse zusammen. Umso wichtiger ist es, Ideen zu entwickeln, deren Finanzierung dringlich ist.
3. Der Wirtschaftssenator sollte die kritischen Hinweise zum möglichen Relevanzverlust des industriellen Sektors nicht bagatellisieren. Ernsthaft kann zwar niemand behaupten, der Sektor hätte innerhalb der Bremer Struktur an Kraft verloren. Aber in den konkurrierenden Standorten zeigt sich auch eine starke Aufholdynamik. Spannend ist die Frage, wo steht Bremen etwa in fünf Jahren. Statt sich auf eine sich selbst optimierende Eigendynamik zu setzen, sind operationalisierbare Konzepte erforderlich.
4. Einen Mangel zeigt die aktuelle Debatte: Bei der Strukturanalyse muss das Verhältnis von industrieller Produktion und Dienstleistungen im Zusammenhang untersucht werden (vgl. die Studie der Arbeitnehmerkammer). Die wirtschaftlich umgesetzte Innovationskraft entscheidet sich nicht nur im industriellen Sektor, sondern im zu-lieferenden produktionsnahen Dienstleistungsbereich. In dieser Debatte scheint das Konzept der Clusterbildung vergessen worden zu sein. Es wird nicht diskutiert, wie dieser Dienstleistungsbereich entwickelt bzw. über die Innovationsforschung gefördert werden kann.
5. Das Dilemma muss durchbrochen werden: Der Senat, der alles rosig sieht und die HK die natürlich politische Forderungen mit dem Start des neuen Präsis abzuleiten versucht. Ich schlage vor, eine Arbeitsgruppe einzusetzen. Erarbeitet werden muss eine seriöse statistische Basis. Es ist schon seltsam, dass es gegenüber der hart geführten Kontroverse zum Tabellenplatz Bremens im Vergleich mit anderen Städten kaum nachvollziehbare valide Daten gibt. Auf dieser Basis sollte ein Konzept zur Stärkung des innovativen Milieus in Bremen erarbeitet werden.