Stadtstaat Bremen
Die regierungsoffiziellen Meldungen über die künftige Finanzierbarkeit des Stadtstaats Bremen sind nach den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz von letzter Woche widersprüchlich. Die Hoffnung auf einen Befreiungsschlag nicht erst ab 2020 macht die Runde. Selbst für den laufenden Sanierungspfad zum jährlichen Abbau der Neuverschuldung wird mit einem größeren finanziellen Spielraum gerechnet. Getrieben vom fiskalischen Optimismus ist der Bremer Senat allerdings dabei, die Öffentlichkeit und vor allem die Interessengruppen auf die Fortsetzung des Austeritätsregimes auch über 2020 hinaus einzuschwören. Die widersprüchlichen Bewertungen durch die Politik, die diffusen Illusionen, die mit Ausgaben- und Einnahmeposten verbundenen Risiken sowie die technokratische Finanzrhetorik verlangen nach Aufklärung über die Finanzen des Stadtstaats. Fragen nach der Zukunft des Sanierungskurses mit dem Ziel, die Neuverschuldung bis 2019 auf null zu drücken sowie die ernsthaft zu erwartenden Wirkungen des reformierten Finanzsystems in Deutschland abzuschätzen, verlangen nach ehrlichen Antworten. Dabei sollten drei Phasen der Bremer Finanzpolitik unterschieden werden:
1. Bereits in der aktuellen Sanierungsphase bis 2019 zeigen sich ohne die neuerdings durchschlagenden Ausgaben für die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen deutliche Risse. Die eigene Planung, mit jährlichen Sanierungshilfen von 300 Mio. € bis 2019 die Neuverschuldung verschwinden zu lassen, ist gescheitert. Kronzeugin ist die Finanzsenatorin, die unmissverständlich im September in ihrem Bericht über die „Aufstellung der Haushalte 2016 und 2017 sowie der Planung 2018 bis 2020“ mitteilt, der Sicherheitsabstand zwischen dem durch den Stabilitätsrat zugelassenen und dem tatsächlichen strukturellen Defizit dahinschmelze. Erstmals wird der Sicherheitsabstand in 2018 mit steigender Tendenz in den Folgejahren unterschritten. Klar ist, das Scheitern dieser Politik unter dem alles erschlagenden Ziel Schuldenbremse ist nicht durch verschwenderische Ausgabenpolitik entstanden. Es sind die objektiven Risiken, die sich jetzt zur Planung querstellen. Wann wird das endlich zugegeben? Wann wird erklärt, dass die Fixierung der Finanzpolitik auf die Schuldennull nicht nur in Bremen zur Bremse für die soziale-, infrastrukturelle und ökonomische Stärkung geworden ist? Im vorauseilenden Gehorsam gegenüber den Kritik feindlichen Einsparfetischisten sei angemerkt: Es geht nicht darum, die Ausgabenschleusen zu öffnen, sondern um eine ausreichende Finanzierung notwendiger öffentlicher Aufgaben in den wichtigen Bereichen der öffentlichen Daseins- und Zukunftsvorsorge, allerdings bei permanenter Aufgabenkontrolle zu sichern.
2. In der seit 2015 neuen Phase wird durch die Finanzierung der Megaaufgabe Unterbringung und Integration der Flüchtlinge die Schuldenbremse zusätzlich ad absurdum geführt. Übrigens erkennen das auch große Flächenländer wie Bayern und allmählich auch der Bund. Bremen hat mit der Aufnahme zusätzlicher Kredite im Rahmen des Nachtragshaushalt für 2015 in Höhe von knapp 30 Mio. € richtig gehandelt. Im Kern geht es um die Finanzierung der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen. Das Grundgesetz deckt diese Beanspruchung der Finanzmärkte. Schließlich steht in Art 115 GG: „Im Falle …außergewöhnlicher Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beinträchtigen …“ dürfen die Obergrenzen bei der Kreditaufnahme überschritten werden. Diese Kreditfinanzierung widerlegt beispielhaft das Geschwätz von den künftigen Generationen als Verlierer durch vererbte Schuldenberge. Sie werden zu Gewinnern dieser Investitionen in die Flüchtlingsintegration durch soziale, ökonomische und gesellschaftliche Stabilisierung. Solange die Politik zu feige ist, diese Aufgaben durch die Umwidmung des gerecht wirkenden Solidarzuschlags langfristig zu finanzieren, bleibt nur die Möglichkeit, über die Kreditaufnahme die überschüssigen Geldvermögen abzuschöpfen. Jedenfalls verbietet dieser unvermeidbare Nachtragshaushalt den „Grünen“ in der Bürgerschaft, künftig kreditfinanzierte Ausgaben generell als Sünde an künftigen Generationen zu verdammen.
3. Eine neue Phase in der Finanzierung des Stadtstaats mit seinen beiden Städten Bremen und Bremerhaven wird nach dem Ende des derzeitigen Solidarpakts 2020 starten. Die anfangs völlig überbewerteten Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz tragen durchaus zur Stabilisierung der Bremer Finanzen bei. Die Klagen gegen die Einwohnerwertung für Bremen mit einem drohenden Verlust von über 660 Mio. € durch Bayern und Hessen sind vom Tisch. Wie der Vergleich der Eckwerte 2019 gegenüber 2020 für Bremen zeigt , der Bund finanziert weiterhin Sonderbedarfe (Kosten der politischen Führung, Ausgleich für Hafenlasten, Hilfen zur Gemeindeverkehrsfinanzierung sowie den Fehlbetragsausgleich aus der Finanzkraftumverteilung; vgl. Tabelle). Die schwere Last der Altschulden mit mehr als 20 Mrd. € und damit die Zinslasten bleiben jedoch Bremen erhalten. Die Forderung nach einem Fonds zur Tilgung von Altlasten war nach dem Kompromiss von Olaf Scholz mit Wolfgang Schäuble endgültig nicht mehr durchzusetzen. Als Ersatz wurde die bisherige Sanierungshilfe zur Realisierung der Schuldenbremse mit 300 Mio. € erst ein-mal dauerhaft ab 2020 auf 400 Mio. € erhöht. Bei der Frage, ob das gesamte Geld in die Haushaltskasse fließen soll, verbreitet Rot-Grün Optimismus. Wenn aber, wie der Name bereits suggeriert, der Bund Hilfen zur Sanierung verfügbar macht, wird wohl ein Teil für die Sanierung der Schuldenlage genutzt werden müssen. Wäre es nicht vernünftig, die Flucht nach vorne zu ergreifen? Bremen erklärt, mit 100 Mio. € ein Viertel zum Abbau des Schuldenbergs und damit der Zinsausgaben zu nutzen. Dann stünden noch 300 Mio. € zur freien Verfügung. Der vielfach aktuell diskutierte Alternativvorschlag, den Schulden-berg durch Inflation abbauen zu wollen, ist fiskalisch naiv und politisch durchschaubar. Zinsen werden nominal und nicht ohne Abzug der Geldentwertung bezahlt. Der reale, um die Inflation bereinigte Schuldenstand ist auch für die bremische Haushaltskasse und die Finanzmärkte eine Fiktion.