Griechenland: Was tun?
Am Anfang der Suche nach einer künftig tragfähigen Strategie steht eine bittere Erkenntnis. Die seit 2010 durchgesetzte Doppelstrategie ist gescheitert: Finanzhilfen der Geberinstitutionen gegen eine massive Politik der Einsparungen vor allem im Sozialbereich sowie der Erhöhung der Mehrwertsteuer und Sozialbeiträge. Denn die Finanzhilfen durch die zwei Hilfspakete im Umfang von über 230 Mrd. € sind mit über neunzig Prozent lediglich zur Anschlussfinanzierung für zu tilgende Kredite eingesetzt worden. Der schillernde Investmentguru Bill Gross spricht von einem „zirkulären Schneeballsystem“, neue Kredite finanzieren alte Kredite. Während praktisch kein frisches Geld in die Stärkung der griechischen Wirtschaft geflossen ist, führte die verordnete Austeritätspolitik zum sozialökonomischen Absturz. Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz beschreibt dies als gewollte Depressionsökonomie. Die Gesamtwirtschaft ist seit 2010 um 25 Prozent geschrumpft, die Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen auf über 50% gestiegen und die soziale Armut gewachsen.
Die Einigungsbasis: „Aufbauprogramm Wirtschaft“
Diese
rückblickende Beschreibung einer gescheiterten Rettungspolitik und die dagegen gesetzte
Politik der Sanierung durch die Stärkung des Wirtschaftswachstums und Schaffung von
Arbeitsplätzen bietet die einzige Möglichkeit einer produktiven Einigung zwischen
Griechenland und den Geberinstitutionen. Umgeschaltet werden sollte auf ein ökonomisches
Aufbauprogramm. Alle Maßnahmen sollten auf dieses Ziel ausgerichtet werden. Über eine
erfolgreiche Wachstumsstärkung lassen sich dann auch eigene Steuereinnahmen generieren.
Zu dem Programm gehören: Aufbau der Wirtschaftsstruktur mit kleinen und mittleren
Unternehmen, eine forschungsintensive industrielle Basis, die Substitution von Importen
durch Eigenproduktion, zukunftsfähige ökologische Produktlinien, ökologisch verträglicher
Tourismus sowie der Ausbau der öffentlichen Infrastruktur.
Die zwei Sofortmaßnahmen
Diesem Zukunftsprogramm sollten zwei Sofortmaßnahmen vorgeschaltet werden. Mit diesen
könnte Vertrauen gestärkt und vor allem Luft für die notwenige Reformpolitik geschaffen
werden:
- Da die griechischen Banken derzeit keinen Zugang zu den Geldmärkten haben, sollte die Europäische Zentralbank weiterhin mit ihren Notkrediten die Geldversorgung an den Bankautomaten sicherstellen. Momentan kann nicht einmal mehr der Maximalbetrag von 60 € pro Tag abgehoben werden. Dabei geht es nicht um eine verdeckte Staatsfinanzierung. Einzig und allein die ohnehin massiv eingeschränkte Geldausgabe sollte auch zur Vertrauensbildung gesichert werden.
- Ein Sofortprogramm gegen Armut mit dem Schwerpunkt medizinischer Versorgung sollte ohne Vorbedingungen realisiert werden. Der Beschluss des griechischen Parlaments zu einem derartigen Sofortprogramm konnte bisher mangels Finanzierung nicht realisiert werden.
Um den ansonsten unvermeidbaren Grexit zu verhindern, ist eine Einigung erforderlich, alles zu tun, um die Wirtschaftsstrukturen Griechenlands zu stärken bzw. deren Aufbau zu forcieren.
Schuldenumstrukturierung
Statt eines Schuldenschnitts
ist eine Schuldenumstrukturierung, die soeben nochmals der Internationale Währungsfonds
(IWF) gefordert hat, erforderlich. Die Kredite der Europäischen Zentralbank sowie
des IWF werden in den allgemeinen Rettungsfonds (ESM) übernommen. Die Tilgung erfolgt,
wie bereits verabredet, ab 2023. Niedrige Zinsen werden gewährt. Die Höhe der Kreditrückzahlungen
könnte auch an das Wirtschaftswachstum in Griechenland gekoppelt werden (vgl. das
Londoner Schuldenabkommen von 1953, das die Rückzahlung für Deutschland auf den Anteil
von maximal 4% der Exporte beschränkte).
Der Reformbeitrag Griechenlands
Unter den genannten Rahmenbedingungen und den beiden Sofortmaßnahmen muss die griechische
Regierung ihren entschiedenen und kontrollierten Beitrag zu diesem Aufbauprogramm
leisten. Im Mittelpunkt steht die ökonomisch solide Sicherung der Steuereinnahmen
durch Wirtschaftswachstum. Darüber hinaus muss dringend Steuergerechtigkeit durch
verschiedene Maßnahmen hergestellt werden. Dazu gehören die höhere Besteuerung Vermögender
sowie die Bekämpfung der Steuervermeidung und Korruption.
In Griechenland sind einige Maßnahmen bereits in Angriff genommen worden: Geschaffen wurde das „Zentrum für die Kontrolle der Steuerpflichtigen mit großen Vermögen (KEFOMEP). Beispielsweise wurde dadurch die Verhaftung des Bauunternehmers Leonidas Bobolas ausgelöst. Schnell und entschieden müssen die Listen der großen Auslandsvermögen endlich abgearbeitet werden. Griechenland ist dabei, den Austausch der Leiter der lokalen Finanzämter sowie eine eigenständige Finanzinspektion gegen Korruption zu forcieren. Um eine funktionierende Finanzverwaltung aufzubauen, braucht es Geld und Zeit. Die griechische Regierung muss diese Aufgabe vorrangig mit Unterstützung der Geber-Institutionen durchsetzen.
Dem Zielsystem gerechter Besteuerung folgend müssen die Superreichen in die Finanzierung einbezogen werden. Nach den Vorstellungen der griechischen Regierung gehören dazu: Eine Kopfsteuer für Millionäre, höhere Steuern für Spitzenverdiener, eine Luxussteuer (Nobelkarossen, große Yachten) sowie die Erhebung einer Lizenzgebühr für die Sendefrequenz privater Fernsehsender sowie eine erhöhte Tonnagesteuer für Reeder. Die Unterstützung zu diesen Maßnahmen durch die Geberinstitutionen wäre hilfreich. Dagegen haben in den Verhandlungen vor dem Abbruch durch den Volksentscheid die Geberinstitutionen die durch die griechische Regierung geplante Erhöhung der Unternehmenssteuersätze von 29 auf 28 Prozent zurückgeschraubt. Auch die Sondersteuer auf Unternehmensgewinne ab 500 000 € ist abgelehnt worden. Auf die geforderte Erhöhung der Mehrwertsteuersätze zu Lasten der Binnennachfrage sollte verzichtet werden. Auch ist der Abschlag von 30% der Mehrwertsteuer auf Inseln wegen der erhöhten Lebenshaltungskosten über die Transportkosten sinnvoll. Weitere Kürzungen bei den Renten würden die Verarmung vieler Menschen erhöhen. Allerdings sollte umgehen das Renteneintrittsalter erhöht werden. Gegenüber dem kleinen, rechtspopulistischen Koalitionspartner sollten weitere Kürzungen im Rüstungshaushalt durchgesetzt werden.
Von den anstehenden Verhandlungen dürfen keine Wunder erwartet werden. Es gibt jedoch durchaus eine Chance zu einem ökonomisch und sozial begründeten Kompromiss mit dem Ziel, den Grexit zu vermeiden. Denn mit der Drachme würde Griechenland auf Dauer als sozial armes und ökonomisch schwaches Land zementiert und das Euroland wäre insgesamt geschwächt und für Spekulanten bedroht.