Prognose 2015: Konjunktur stärken
Am Jahresende haben die Konjunkturprognostiker Hochkonjunktur. 2015 schwankt das Wirtschaftswachstum nach den jüngsten Vorhersagen in einer Bandbreite zwischen 1,2 und 1,6 Prozent. Allerdings müssen sich die großen Wirtschaftsforschungsinstitute sowie der gesetzlich verordnete „Rat der fünf Weisen“ eingestehen, dass sie für das zu Ende gehende Jahr falsch lagen. Die erwartete Wachstumsrate mit 1,9 Prozent und damit die Wirtschaftsdynamik sind erneut überschätzt worden.
Wieder einmal bestätigte sich die auch Karl Valentin zugeschriebene Ironie: „Prognosen sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen“. Die Not, nichts Genaues zu wissen, erzwingt die einseitige Orientierung an der Vergangenheit. Diese wird dann durch die dominierende Beratungsökonomie mit einer marktoptimistischen Überschätzung der Aufschwung- und Unterschätzung der Abschwungdynamik fortgeschrieben. Hinzukommen die wirtschaftspolitisch nicht beeinflussbaren Annahmen zu strategischen Preisen: So erfolgt die Vorhersage des Wirtschaftswachstums mit 1,5 Prozent durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung unter den Annahmen: Der Ölpreis bleibt mit 71,6 $ pro Fass Brent-Öl (Barrel) niedrig und der für die Außenwirtschaft strategisch relevante Preis für einen Euro sinkt auf 1,25 $. Nur kleinste Änderungen, wie ein weiter sinkender Ölpreis werfen die Prognose über den Haufen.
Investitionsattentismus dominiert
Die Ursachen der immer
noch viel zu schwachen Bereitschaft der Unternehmen in den Kauf von Maschinen und
Ausrüstungen sowie in den Bau zu investieren, gibt für eine taugliche Vorhersage zu
2015 wichtige Hinweise. Es sind die schwächelnden Gewinnerwartungen, die den eigentlich
wegen des billigen Geldes zu erwartenden Investitionsboom verhindern. Zentrale Ursache
sind die pessimistische Bewertung der Nachfrage zur Auslastung der neu geschaffenen
Produktionskapazitäten: Die Binnennachfrage gilt als zu schwach. Die Risiken der Exportwirtschaft
werden allgemein wegen der Weltwirtschaft und speziell in wichtigen Absatzländern
wie China und den Euroländern hoch bewertet. Geostrategische Änderungen vor allem
der Boykott gegenüber Russland im Ukrainekonflikt hemmen nicht nur die direkt betroffenen
Unternehmen. Sie verstärken die allgemeine Vertrauenskrise in die wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen. Sicherlich führt der auch für das kommende Jahr nochmals leicht
sinkende Preis für ein Fass Brent-Öl zu Kostenentlastungen bei den Unternehmen und
zur Stärkung des privaten Konsums. Allerdings produzieren sinkende Ölpreise auch volkwirtschaftliche
Verluste auf der anderen Seite. Die direkte Nachfrage nach Investitionsgütern zur
Exploration von Öl geht zurück. Aber auch die Länder mit Öleinnahmen investieren weniger.
Über die Ölpreiseffekte hinaus schwächt die immer noch schwelende Eurokrise mit deutlichen
Exportverlusten für die deutsche Wirtschaft in den Krisenländern die Konjunktur. Auch
wird in 2015 das Misstrauen in den real existierenden Bankensektor weiterhin Einfluss
haben.
Dabei wird auch 2015 die Europäische Zentralbank mit ihrer Politik des billigen Geldes den Banken die Kreditfinanzierung der Unternehmenswirtschaft schmackhaft machen. Allerdings sind Erfolge von der sich am Rande der Verzweiflung bewegenden Geldpolitik allein nicht zu erwarten. Vielmehr tobt sich die überschüssige Liquidität auf den Finanzmärkten aus. Gewiss ist, dass sich die Flucht auf die Aktienmärkte fortsetzen wird. Da die dadurch spekulativ aufgeheizten Kurse wenig mit der realen Wertschöpfung der Unternehmen auf Aktienbasis zu tun haben, droht eine Blase, die am Ende platzen muss.
Minuszinsen und Minusinflationsrate
Was die vorherrschende Wirtschaftswissenschaft nicht erklären kann, wird auch im kommenden
Jahr die Akteure drangsalieren. Zum einen bleibt es bei den Strafzinsen für Geldanlagen,
die die Euro-Notenbank den Banken für kurzfristige Geldanlagen auf ihren Konten aufzwingt.
Anstatt jedoch die Kreditvergabe auszuweiten, werden durch einige Banken die Negativzinsen
an Kunden mit Großeinlagen weitergewälzt. Zum anderen ist nach einer Inflationsrate
mit 0,6% vor allem zu Beginn 2015 erstmals mit einer Minusinflation zu rechnen, d.h.
die im Verbrauchpreisindex zusammengefassten Preise sinken absolut. Die rückläufigen
Ölpreise reichen jedoch allein zur Erklärung nicht aus. Vielmehr sinken die Preise
wegen mangelnder Nachfrage gegenüber den Überkapazitäten. Deshalb muss mit den Instrumenten
der Geld- und Finanzpolitik die drohende, am Ende schwer überwindbare Deflation verhindert
werden. Der im Fall der Deflation einsetzende Preisverfall auf breiter Front löst
eine Abwärtsspirale über den Rückgang des Wirtschaftswachstums, den Arbeitsplatzabbau
und Einkommensverluste aus. Durch eine expansive Geld- und Finanzpolitik muss für
die Unternehmen endlich wieder Spielraum für erforderliche Preiserhöhungen geschaffen
werden. Wachsender Kostendruck bei fehlenden Preismargen führt in eine sich verstärkende
Schrumpfwirtschaft. Die EZB-Geldpolitik propagiert einen Anstieg der Inflationsrate
bis 2 Prozent.
Wirtschaftspolitische Agenda 2015
Die wirtschaftspolitische Agenda 2015 hat dem Ziel zu dienen, die seit Jahren in Deutschland
aufgestaute Investitionslücke abzubauen. Während 1999 noch insgesamt 20% des Bruttoinlandsprodukts
gesamtwirtschaftlich in Ausrüstung und Bauten investiert wurden, sind es heute nur
noch knapp 17%. Die über die Jahre kumulierten Rückstände bei den Gesamtinvestitionen
belaufen sich nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung auf 40%
der heutigen gesamtwirtschaftlichen Produktion. Zu dieser Investitionslücke trägt
auch der öffentliche Sektor bei. Seit 1999 ist das Nettovermögen des Staates von 20%
auf 0,5% des Bruttoinlandprodukts gesunken. Die öffentliche Investitionsquote ist
von 4,7% in 1970 vor allem seit der einsetzenden öffentlichen Einsparpolitik im Jahr
2006 und 2007 auf den Tiefststand mit 1,5% zusammengeschrumpft. Dabei reichen die
öffentlichen Bruttoinvestitionen des Staates schon seit 2013 nicht mehr aus, wenigstens
die Ersatzinvestitionen im Ausmaß der Abschreibungen für den Wertverlust zu finanzieren.
Dadurch ist der Substanzverlust des öffentlichen Vermögens mittlerweile auf 200 Mrd.
€ gestiegen.
Auf der wirtschaftspolitischen Agenda 2015 stehen machbare Maßnahmen zur Auslastung und zum Ausbau der wettbewerbsfähigen Produktionskapazitäten für qualitatives Wachstum durch die Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Die eine Säule ist die Konsumnachfrage der privaten Haushalte. Dazu gehört die tarifliche Lohnpolitik, die zumindest den realen Verteilungsspielraum ausschöpft. Auch konsequent durchgesetzte Mindestlöhne gegen Beschäftigungsarmut gehören dazu. Schließlich leistet die allgemeine Armutsbekämpfung einen Beitrag. Wie soeben eine OECD-Studie zeigt, erhöht die Bekämpfung der Armut die wirtschaftlichen Wachstumschancen. Wäre es anstatt der Verschlechterung bei den Arm-Reich-Verhältnissen von vor dreißig Jahren geblieben, wäre die Wirtschaft nicht um 26, sondern 32 Prozent gestiegen.
Die andere Säule steht für die Stärkung der Binnenwirtschaft durch eine expansive Finanzpolitik vor allem zum Abbau des dramatischen Staus öffentlicher Infrastrukturausgaben (allein bei den Kommunen in den letzten Jahren auf knapp 50 Mrd. € gestiegen). Der Substanzverlust des öffentlichen Vermögens führt zu einer schweren Last künftiger Generationen. Es fehlt an ausreichenden öffentlichen Investitionsausgaben in den Erhalt und die Erweiterung der Infrastruktur besonders im Bereich der Bildung, des Verkehrs und der Umwelt. Mit einem Sofort-Infrastrukturfonds von jährlich 10 Mrd. € in den kommenden fünfzehn Jahren ließen sich wenigstens die dringlichen Ersatzinvestitionen finanzieren. Der Infrastrukturfonds regelt jenseits der Schuldenbremse für die öffentlichen Haushalte auch dessen spätere Tilgung.
Durch den Abbau von öffentlichen Infrastrukturdefiziten lässt sich die EZB- Politik des billigen Geldes durch eine expansive Finanzpolitik wirksam komplettieren. Es geht um die Rückführung überschüssiger Liquidität in die Finanzierung volkswirtschaftlicher Produktion. Gegenüber dieser mutigen Politik der Sanierung öffentlicher Haushalte über qualitatives Wirtschaftswachstum wird die Inkompetenz einer Nullverschuldungspolitik durch die Bundesregierung offensichtlich. Die Idee der neuen EU-Kommission, die Politik des billigen Geldes durch die die Nachfrage steigernde Finanzierung von Projekten mit einem Gesamtvolumen von 315 Mrd. € zu unterstützen, geht in die richtige Richtung. Allerdings kann der Plan, mit 21 Mrd. € Startkapital und einem Kreditvolumen von 60 Mrd. € von der Europäischen Investitionsbank 250 Mrd. € an Privatkapital zu hebeln, nicht aufgehen. Nur durch effektiv für sinnvolle Projekte ausgegebenes EU-Geld sind darüber hinausgehende Wachstumsimpulse zu erwarten.