Öffentlicher Infrastrukturfonds für Deutschland
Jahrzehnte profitierte Deutschland von dem ordnungspolitischen Credo: Eine international erfolgreiche und national funktionsfähige Wettbewerbswirtschaft ist auf eine bedarfsgerechte, qualitativ wertvolle öffentliche Infrastruktur angewiesen. Bereits Adam Smith hat in seinem Werk „Wealth of Nations“ 1776 im 5. Buch am Beispiel „der Erleichterung des gesellschaftlichen Verkehrs“ gezeigt, warum mangels einzelwirtschaftlicher Rentabilität einerseits die Märkte diese infrastrukturelle Vorleistung nicht bereit stellen können, jedoch andererseits auf dieses öffentliche Gutangewiesen sind.
Die öffentliche Infrastruktur in Deutschland, die als erfolgreiche Standortvoraussetzung weltweit gepriesen wurde, verliert schon seit Jahren an Substanz. Die vielen einzelnen Schreckensmeldungen allein aus dem Bereich öffentlicher Mobilitätssicherung belegen das: Einzelne Autobahn- und Eisenbahnbrücken, Land-, Kreis- sowie Kommunalstraßen, Hafen- und Kanalanlagen sowie Teile des öffentlichen Personennah- und Fernverkehrs sind marode. Heute schon erzeugen diese Mobilitätsstörungen etwa durch Staus, erhöhte Unfallgefahr und erzwungene Liegezeiten bedrohlich wachsende gesamtwirtschaftliche Kosten.
Substanzverlust beim Infrastrukturkapital
Empirische Untersuchungen
belegen eindeutig den Rückgang der für die öffentliche Infrastruktur eingesetzten
gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung.
Der Anteil öffentlicher Investitionen am Bruttoinlandsprodukt, der noch 1970
bei 4,7% lag, ist ab 2000 von 1,9% auf den Tiefstand in den Jahren 2006 und 2007 mit
jeweils 1,5% zurückgefallen. 2012 gibt es eine leichte Korrektur nach oben. Würde
die im Durchschnitt höhere öffentliche Investitionsquote in ökonomisch wichtigen Ländern
der EU realisiert, müssten in Deutschland dafür 20 Mrd. € pro Jahr mehr ausgegeben
werden. In den kommenden Jahren wird trotz der Vorgabe der Großen Koalition, fünf
Jahre jeweils 5 Mrd. € für den Ausbau und Erhalt der Verkehrswege extra zu finanzieren,
der Anteil kaum über 1,6% hinausgehen. Betroffen vom längerfristigen Fall der Infrastrukturquote
sind vor allem die Städte und Gemeinden. Immer noch die Hälfte der öffentlichen Investitionen
konzentriert sich heute noch auf die Kommunen. Allerdings liegt der Anteil der kommunalen
Investitionsausgaben an den öffentlichen Gesamtinvestitionen 1991 noch 63,6%. Die
Dramatik unterfinanzierter öffentlicher Investitionen zeigt sich durch die Unterscheidung
zwischen Brutto - und Nettoinvestitionen, zwischen die sich die Abschreibungen schieben.
Die staatlichen Bruttoinvestitionen reichen in Deutschland seit 2003 nicht mehr aus,
wenigstens die Abschreibungen, also den Werteverzehr des öffentlichen Kapitalstocks,
auszugleichen. Nach Berechnungen der KfW-Bankengruppe ist durch den schleichenden
Substanzverlust des öffentlichen Vermögens der gesamte Investitionsrückstand und damit
bis ins Jahr 2014 auf 118 Mrd. € angestiegen. Dieses Reinvestitionsdefizit muss abgebaut
werden. Dazu kommen dringliche Neuinvestitionen etwa im Verkehrssystem wegen wachsenden
Transportaufkommens, zur Umsetzung der energiepolitischen Wende sowie zum Ausbau der
Breitbandtechnologien.
Diese infrastrukturellen Defizite bedrohen auf Dauer die Zukunft des Standorts Deutschland. Während Unternehmen Produktionsaufgaben im Bereich der öffentlichen Infrastruktur entzogen werden, kommt es durch massive Mobilitiätseinschränkungen zu gesamtwirtschaftlichen Kostensteigerungen. Bei den privaten Haushalten verschlechtern sich die Arbeits- und Lebensbedingungen. Dabei konzentriert sich der öffentliche Substanzverlust vorrangig auf die zum Großteil überforderten Städte und Gemeinden. Nach einer Umfrage des Allensbacher Instituts (2013) kritisiert die große Mehrheit der Bevölkerung diesen öffentlichen Investitionsstau. Politische Entscheidungen für Infrastrukturinvestitionen sind durch eine hohe Präferenzder Bürgerinnen und Bürger gerechtfertigt.
Schrumpfstaat gefährdet Zukunftsvorsorge
Die jüngste Debatte
über die wichtigsten Ursachen für diese Standortbelastungen zeigt, was zu tun ist:
- Ausgewirkt hat sich die unselige neoliberale Doktrin des schrumpfenden Staates
selbst im investiven Bereich. Privatwirtschaftliche Wertschöpfung sei der staatlich
veranlassten Produktion von öffentlichen Gütern vorzuziehen. Die Folgekosten zeigen,
der Staat muss wieder konzeptionell und fiskalisch handlungsfähig gemacht werden.
- Einfluss hatten auch die den schrumpfenden Staat begleitenden Steuersenkungen vor allem durch die Schröder-Fischer-Regierung. Gemessen an den unveränderten Steuergesetzen von 1998 fehlen heute dem Staat insgesamt 45 Mrd. €. Dabei sind die Steuerentlastungen durch die Unternehmen kaum zur Finanzierung zusätzlicher Realinvestitionen eingesetzt worden.
- Entscheidend für den sich beschleunigen Substanzverlust des staatlichen Infrastrukturkapitals ist der finanzpolitische Epochenwechsel zur Schuldenbremse. Sie treibt die restriktive Ausgabenpolitik bei Infrastrukturinvestitionen vor allem von Bund und Ländern, die den Druck an ihre Gemeinden weitergeben, voran. Abgeschafft wurde die „goldene Regel“ (Art. 115 GG), die die Finanzierung mit öffentlicher Kreditaufnahme zulässt, jedoch neben Maßnahmen zur Stabilisierung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auf den Umfang der öffentlichen Investitionen beschränkt. Sicherlich war es richtig, vor allem den konsumtiven Schuldenstaat zu bremsen. Aber der Preis für den Rückgang der öffentlichen Investitionen ist viel zu hoch. Künftigen Generationen wird eine marode Infrastruktur vererbt.
Sofort-Infrastrukturfonds zum Abbau des öffentlichen Investitionsabbaus
Da eine verfassungsrechtliche Öffnung der Schuldenbremse umstritten
und zügig nicht durchsetzbar ist, müssen unverzüglich dennoch zulässige Finanzierungsmodelle
gegen den infrastrukturellen Aderlass realisiert werden. Vorgeschlagen wird ein Infrastrukturfonds,
der sich zu allererst auf die Finanzierung der notwendigen Investitionen zum Substanzerhalt
der Infrastruktur konzentriert. Vergleichbar dem Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP)
zur „Wachstums- und umweltpolitischen Vorsorge“ von 1978 wird der Fonds vom Bund gemanagt.
Vor allem die Kommunen haben das Recht, direkt Projektanträge zu stellen. Bei der
Genehmigung wird auf eine überregionale Abstimmung Wert gelegt. Auf der Basis der
vielen Studien zur Schätzung des öffentlichen Investitionsrückstands wird ein Infrastrukturfonds
mit einem jährlichen Volumen von 10 Mrd. € über 15 Jahre vorgeschlagen. Allein für
die Verkehrsinfrastruktur sieht die Bodewig-Kommission einen jährlichen zusätzlichen
Bedarf von 7,2 Mrd. € über 15 Jahre ab 2013 vor.
Die Vorteile dieses Bundes-Infrastrukturfonds mit dem Schwerpunkt auf die Kommunen
sind:
- Das Programm schafft der Produktionswirtschaft ökonomisch und
gesellschaftlich sinnvolle effektive Nachfrage zur Stärkung des
qualitativen Wirtschaftswachstums.
- Durch den Produktionszuwachs werden zusätzliche
Steuerzahlungen
generiert.
- Vor allem im Bereich der Infrastrukturinvestitionen in das kommunale
Verkehrssystem lässt sich der derzeitige regionale Egoismus durch
übergreifende Lösungen nutzen.
- Für den Fonds gelten: Durch den erforderlichen
Personalabbau, die effektive Planungs- und Kostenkontrolle, die
richtige Prioritätensetzung sind künftig Mega-Fehlinvestitionen zu
vermeiden (Elb-Philharmonie, Berliner Großflughafen, Hochmoselbrücke)
und Kostenexplosionen zu vermeiden.
Zur Finanzierung erhält dieser Infrastrukturfonds beim Bund das Recht, streng kontrolliert und gezielt öffentliche Kredite am Kapitalmarkt aufzunehmen. Aus der zu erwartenden gesamtwirtschaftlichen Rendite lässt sich, durchaus den Unternehmen der Privatwirtschaft vergleichbar, der Kapitaldienst finanzieren. Die real-ökonomische Substanz des Fonds bildet das gesamtwirtschaftlich rentable öffentliche Infrastrukturkapital. Der Fonds sichert auch die Zukunftsfähigkeit. Kommenden Generationen werden bessere Produktions- und Lebensverhältnisse vererbt. Künftige Generationen können als Nutznießer nur über die öffentliche Kreditaufnahme beteiligt werden. Dagegen übernimmt im Rahmen der Steuerfinanzierung nur die heutige Generation die fiskalischen Lasten. Mit der öffentlichen Kreditfinanzierung werden künftige Generationen durch die Aufbringung der Zinsausgaben als künftige Nutznießer der aktuellen Infrastrukturinvestition beteiligt. Dabei stellt sich die Frage nach den Verteilungseffekten zwischen den Steuerzahlern, die die Zinsen aufbringen und denen, die als Gläubiger die Zinsen erhalten. Im Unterschied der bisher allgemeinen öffentlichen Schuldenaufnahme wird mit dem Infrastrukturfonds die Tilgung über einen längeren Zeitraum verbindlich festgeschrieben. Dieser öffentlich verantwortete Infrastrukturfonds stellt eine eindeutige Alternative gegenüber den diskutierten Modellen einer öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP) dar. Denn die bisherigen fiskalischen Erfahrungen mit ÖPP-Projekten sind negativ. Vor allem sind die Kosten vergleichsweise deutlich höher. Der durch den Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel einberufene „Beirat“, dem auch jeweils ein Vertreter der Banken und Versicherung angehört, sollte die vielen offenen Fragen frei von spezifischen Interessen klären. Am Ende liegt jedoch die Gesamtverantwortung für die Projekte beim politisch-demokratischen System, nicht bei einer bestimmten Klientel.