EU und Euro nach der Wahl
gekürzte Fassung erschienen in: Frankfurter Rundschau vom 28.05.2014
Mit der Wahl zum Europaparlament haben sich erst einmal die Bedingungen für den dringend notwenigen Ausbau der monetären und wirtschaftlichen Integration verschlechtert. Die Europaskeptiker, vor allem die Eurokritiker, haben deutlich an Einfluss gewonnen. Es gibt nur die Chance, die gestärkte Minderheit von über 130 Mandatsträgern gegenüber der großen Mehrheit mit einem klaren Konzept zum Abbau der ökonomischen Spaltung zwischen den Mitgliedsländern ins Abseits zu drängen. Dazu gehört auch die Ablösung der von Geberländern den Krisenländern aufoktroyierten Einspar- und Schrumpfpolitik sowie Maßnahmen zur Überwindung der elenden Massenarbeitslosigkeit. Nur mit einer Gemeinschaftspolitik der ökonomisch, sozial und ökologisch überzeugenden Integration kann in der EU für die EU wieder verspieltes Vertrauen zurückgewonnen werden.
Es war die bisherige neoliberale Politik vor allem unter dem hegemonialen Diktat Deutschlands, das einerseits viel Elend in den Krisenländern geschaffen und andererseits das Vertrauen auch in den Geberländern erschüttert hat. Dieser Verlust an Zustimmung auch durch eine Rettungspolitik mit viel Geheimhaltung geriet den nationalistisch-rechten Kräften zum Humus für ihre Anti-EU-Politik. Auch der Wahlkampf, innerhalb dessen großteils existenziell wichtige Themen von den Großparteien ausgeblendet wurden, hat zur Desorientierung beigetragen.
Auf dieses Wahlergebnis gibt es nur eine Antwort: Endlich müssen klare Konzepte zur Überwindung der Krisen in den Mitgliedsländern und insgesamt zur Stärkung des Gemeinschaftsunternehmens Europäische Union erarbeitet und umgesetzt werden.
Aktuell steht der Brandherd Eurosystem, der gelöscht werden muss, im Mittelpunkt. Auch nach dieser Wahl wird durch die vorherrschende Politik der Eindruck verbreitet, der Euro sei nach dramatischen Rettungsaktionen einigermaßen stabil. Ja, es werden weiterhin unverantwortliche Erfolgsmeldungen verbreitet. Portugal habe sich aus dem Rettungsfonds abgemeldet. In Griechenland weise der öffentliche Haushalt ohne Zinsbelastungen einen leichten Überschuss auf, ja, Staatsanleihen könnten wieder am Kapitalmarkt abgesetzt werden. Dagegen braucht die große Mehrheit des Europarlaments den Mut, einerseits eine Bilanz zur bisherigen neoliberalen Politik des ökonomischen und sozialen Schrumpfens im Klima marktradikaler Beschwörungen zu dechiffrieren. Auf dieser Anatomie des Politikversagens bei der Eurorettung lassen sich Vorschläge zur wirtschaftsstrukturellen Stärkung der ökonomisch bisher schwach gehaltenen Länder ableiten. Dieses massive Versagen des vor allem durch die deutsche Bundesregierung forcierten Politikoktroys zeigt sich modellhaft in Griechenland. Nach über sechs Jahren der Rezession ist die griechische Wirtschaft derart geschwächt, dass sie niemals aus eigener Kraft zum Aufschwung zurückfinden kann. Tief in die Mittelschicht hinein hat sich soziale Armut Platz geschaffen. Mit einer Arbeitslosenquote bei Jugendlichen um 60 % - wie auch in Portugal und Spanien - ist eine komplette Generation ihrer Zukunftschancen beraubt worden. Die Ursache für diesen ökonomischen und sozialen Aderlass liegt in der missionarisch anmutenden Schuld- und Sühne-Politik der Geberländer. Nach dem Motto: Wer Jahre lang verschwenderisch gelebt habe, der müsse auch Sühne in Form von sozialen Opfern leisten. Jedoch, die dem zu rettenden Land abverlangten Gegenleistungen für Finanzhilfen durch massiven Abbau der Sozialausgaben und des öffentlichen Dienstes sowie Lohnkürzungen sind gescheitert.
Die Lehre aus diesem ökonomischen und sozialen Missmanagement ist klar. Die Euro-Währungsunion kann nur gelingen, wenn die Wirtschaftsstrukturen in den Krisenländern durch eine aktive Politik nach dem Muster des Marshall-Plans gestärkt werden. Die Krisenstaaten müssen ohnehin ein „good governance“ aufbauen, d.h. die Demokratie stärken und vor allem Korruption bekämpfen. Dagegen sind Vorschläge vor allem von der AfD, nach denen in Griechenland wieder die Drachme einzuführen sei, ökonomisch dumm und politisch falsch. Wie soll eine abgewertete Drachme die Exportwirtschaft, die erst noch aufgebaut werden muss, trotz der internationalen Preisvorteile in Schwung bringen?
Das Kernproblem des Eurolandes sind die extrem unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen und damit der Wirtschaftskraft. Der Fehler wurde bereits dem Ende 1990 verhandelten „Maastrichter Vertrag“ eingepflanzt. Die daraus folgenden Krisenprozesse haben mittlerweile einen allerdings viel zu zögerlichen Lernprozess ausgelöst. Der Rettungsfonds, der die Anschlussfinanzierung von zu tilgenden Staatsanleihen in den Krisenländern regelt, verschafft Zeit, die auch für eine erfolgreiche Stabilisierungspolitik genutzt werden muss. Das unmissverständliche Bekenntnis von Mario Draghi, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, am 26. Juli 2012 vor einer kleinen Gruppe der wichtigsten Finanzinvestoren der Welt in London hat die Spekulanten endgültig vertrieben. Immerhin lässt sich heute nicht mehr mit hohen Renditen auf den Absturz eines Eurolandes wetten. Die Europäische Zentralbank hat ihre Aufgabe, einen gemeinschaftlichen Währungsraum herzustellen, begriffen. Schließlich richtet sich die Geldpolitik gegen die immer noch spürbare Vertrauenskrise zwischen den Banken. Deshalb scheitert derzeit auch die Weitergabe des billigen Geldes der EZB als Anreiz zur Kreditvergabe durch die Banken. Die Geldpolitik kann jedoch allein den Euro- und Wirtschaftsraum nicht stabilisieren.
Das Europäische Parlament hat zwar kein Initiativrecht. Aber es sollte bereits die Wahl des neuen Kommissionspräsidenten von der Durchsetzung eines Programms zum ökonomischen, sozialen und ökologischen Zusammenhalt abhängig machen. Die Kommission muss sich endlich zu einer die expansive Geldpolitik ergänzenden aktiven Finanzpolitik verpflichten. Dazu gehört eine expansive, über die EU koordinierte Finanzpolitik, die vor allem Infrastrukturprojekte in der EU ermöglicht und den Aufbau von Wirtschaftsstrukturen in den Krisenländern forciert. Dagegen steht derzeit der Fiskalpakt, der die Mitgliedsländer ohne Rücksicht auf die Konjunktur und wirtschaftsstrukturellen Herausforderungen zur ökonomischen und sozialen Schrumpfpolitik verpflichtet. Nach den negativen Erfahrungen mit dem Fiskalpakt braucht es den Mut, endlich wieder mit Finanzpolitik die wirtschaftliche Entwicklung zu stärken.
Die große Mehrheit des Europaparlaments hat die Chance, mit einer konsequenten Vergemeinschaftung der Wirtschafts- und einer aktiven Finanzpolitik Vertrauen zurückzugewinnen. Diese Arbeit an der voranschreitenden Integration zur Stabilisierung der Eurowährung und der Ausbau einer koordinierten Finanz- und Wirtschaftspolitik bietet die inhaltliche Chance, Vertrauen zurückzugewinnen und die gespenstischen Rechtskräfte zurückzudrängen.