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"Nicht nur die Sparer" (Handelsblatt 16.09.2013)

Sep 20, 2013

Die Niedrigzinspolitik der Deutschen Bundesbank, die in einem „ausgedehnten Zeitraum“ (Foreward Guidance) fortgesetzt werden soll, führt zu realen Vermögensverlusten vor allem bei den Sparern. In diesem Beitrag wird dagegen darauf hingewiesen, dass diese Politik des billigen Geldes die Konjunktur im Euroland stärken soll. Soweit dadurch Einkommens- und Beschäftigungsverluste vermieden werden können, profitieren auch die Geldanleger.

Die Konjunktur in Europa ist auf die Unterstützung durch die EZB angewiesen, argumentiert Rudolf Hickel. 

Die Euro-Notenbank hält trotz massiver Kritik an ihrem erstmals Anfang Juli propagierten "längerfristigen Ausblick" fest: Der Leitzins zur Liquiditätsbeschaffung der Banken bleibt in der Nähe der Nullzone. Gegen diese Niedrigzinspolitik werden massiv ordnungspolitische Vorwürfe erhoben. Die Europäische Zentralbank betreibe eine Vermögensenteignung. Im Mittelpunkt stehen die vielen Sparer, aber auch die Eigentümer von Lebensversicherungen. Was hat es mit dieser Geldpolitik und ihren Opfern auf sich? Dringend ist Aufklärung auch in Kreisen der Ökonomenzunft erforderlich.

Bei einem Zinssatz von unter einem Prozent, der durch die Politik des billigen Geldes gewollt ist, und einer dagegen höheren Inflationsrate ist der reale Verlust an Geldvermögen programmiert. Wird dann noch die Verzinsung der Zinserträge ab den Freigrenzen mit 25 Prozent Abgeltungsteuer berücksichtigt, so schmilzt real das heute angelegte Sparvermögen in knapp zwanzig Jahren um ein Viertel. Der dazu eingeführte, allerdings eher desorientierende Begriff der "fiskalischen Repression" legt den Vergleich dieser Politik mit dem Einsatz von Repressalien nahe.

Was ist von dieser Enteignungsthese zu halten? Sie ist das Produkt einer unzulässigen Reduktion bis hin zur Leugnung gesamtwirtschaftlicher Anforderungen an die Geldpolitik. Die Bewertung der ohnehin schwierigen Geldpolitik in einem durch Destabilisierung der Finanzmärkte geprägten Euro-Land wird ausschließlich auf die einseitigen Folgen für die Geldvermögensbildung reduziert. Die Niedrigzinspolitik hat unmittelbar auch nichts mit der Stabilisierung der Anleihemärkte in den Krisenländern durch den Aufkauf von dortigen Staatsanleihen zu tun. Im Mittelpunkt steht die Rezessionsgefahr im Euro-Raum. 

Bisher hat die EZB monetär gegen die Rezession gesteuert. Jetzt ist die Notenbank dabei, "die schrittweise Erholung" der Konjunktur ohne Inflationsrisiken zu unterstützen. Viel zu wenig wird die Frage gestellt: Was wäre der Preis einer Geldpolitik, die die gesamtwirtschaftliche Stabilisierungsfunktion ignorieren würde? Die gesamtwirtschaftlichen Kosten eines Verzichts auf die Konjunkturstützung durch die Notenbank wären immens: wirtschaftlicher Abschwung, individuelle Einkommensverluste und steigende Arbeitslosigkeit. Diese gesamtwirtschaftlichen Kosten würden auch die Sparer belasten.

Dieser scheinbare Konflikt lässt sich auch zugunsten der Sparer nur durch eine monetäre und finanzpolitische Stärkung des Euro-Wirtschaftswachstums und der Beschäftigung einigermaßen auflösen. Das größte Problem ist, dass die EZB allein mit der gesamtwirtschaftlichen Verantwortung für die Konjunktur heillos überfordert ist. Derzeit fällt jedoch eine koordinierte expansive Finanzpolitik im Euro-Raum aus. Im Gegenteil, da den EU-Mitgliedsländern eine wachstumsfördernde Finanzpolitik durch den "Fiskalpakt" mehr oder weniger verwehrt worden ist, gerät die Geldpolitik in eine "Lückenbüßer"-Rolle. Im Euro-Land muss - vor allem in den Krisenländern - der Finanzpolitik die Führungsrolle ermöglicht werden. Durch wirtschaftliches Wachstum, steigende Einkommen und Beschäftigung zählen dann auch die die Sparer zu den Gewinnern.

Der Autor ist Wirtschaftsprofessor in Bremen.
Sie erreichen ihn unter: gastautor@handelsblatt.com

Last modified: Dec 16, 2018