Gefährliche Eurorettungs-Illusionen
Die Euro-Macher, aber auch die Regierungschefs in den Krisenländern, sind mit
einer Reihe von Erfolgsmeldungen nach dem Ausbruch der Eurokrise vor knapp vierzehn
Jahren ins neue Jahr gestartet. Mario Draghi verkündet zwar, die Eurokrise sei noch
nicht überwunden, aber es gäbe „viele ermutigende Zeichen“. Bundesfinanzminister Schäuble
erklärt die „Ansteckungsgefahr“, also den Zusammenbruch des gesamten Kartenhauses
durch einen einzigen insolventen Staat im Euroraum für gebannt. Irland hat sich aus
der harten Regentschaft des Rettungsschirms zurückgezogen und bereits erfolgreich
bei der Platzierung von Anleihen auf den Kapitalmärkten gepunktet. Lettland hat die
Aufnahme wohl eher aus Gründen der Abgrenzung gegen Russland zum Neujahrstag als 18.
Mitgliedsland in den Eurowährungsraum geschafft. Gegenüber diesen eher zurückhaltenden
positiven Meldungen zur Eurorettung erschrecken die Erfolgsmeldungen aus den großen
Nehmerländern. Spanien kündigt ein leichtes Wirtschaftswachstum als Lohn der Eurorettungspolitik
an. Die staatsoffiziellen Lobpreisungen der griechischen Regierung sind kaum noch
zu toppen: Nach sechs Jahren Rezession wird erstmals für dieses Jahr ein leichtes
Wirtschaftswachstum beschworen. Die EU-Kommission zusammen mit der Troika – bekannt
für viel zu optimistische Prognosen und die Unterschätzung der Krisenwirkungen der
Auflagen-
politik – wagt eine konkrete Prognose des wirtschaftlichen Wachstums
um real 0,6% in diesem Jahr. Ergänzt wird der peinliche Jubel über einen Primärhaushalt,
bei dem die Einnahmen leicht über den Ausgaben liegen. Dabei werden jedoch das zentrale
Krisenproblem der Staatsschulden und damit die Belastung durch Zinsausgaben nicht
berücksichtigt. Dann verkündet der griechische Premierminister auch noch die baldige
Rückkehr zu den Kapitalmärkten und den dort lauernden Spekulanten. Allerdings steht
gegen diese Erfolgsphantasien die Forderung Griechenlands nach einer dritten Kredithilfe-Tranche
mit über mehr als 10 Mrd. € gegenüber.
Euroeuphorie: Gefährliches Ablenkungsmanöver
Hinter diesen
Jubelmeldungen steckt sicherlich die Sorge, die anstehende Wahl des Europäischen Parlaments
könnte zur Schlammschlacht gegen die offizielle Politik der Troika ausarten. Die Absicht
ist klar, es gilt die Tauschstrategie als Erfolgsstory zu rechtfertigen: Eine umfassende
Schrumpfpolitik durch radikale Kürzungen öffentlicher Ausgaben vor allem im Sozialbereich,
Erhöhung von Massensteuern und Privatisierung bisher öffentlicher Produktion im Tausch
gegen Finanzhilfen zur Abwicklung der Staatsschulden. Logisch ist die Schlussfolgerung,
was bisher Erfolg brachte, muss fortgesetzt werden. Ohne Rücksicht auf die Misserfolge
und den hohen gesamtwirtschaftlichen Preis wird ein Weiterso der bisherigen Europolitik
in den Wahlkampf ums Europaparlament posaunt.
Die bittere Wahrheit: Absturz der Ökonomie, Arbeitslosigkeit und massenhafte
Armut
Die Realität zeigt gegenüber dieser Rechtfertigungsideologe
ein ganz anderes Bild. Die als Gegenleistung für die Aufnahme unter den Rettungsschirm
erzwungene Auflagenpolitik hat aktiv die ohnehin schwachen Wirtschaften in den Nehmerländern
endgültig in die Knie gezwungen.
Dazu das Beispiel Griechenland: Sechs Jahre hintereinander ist die gesamtwirtschaftliche Produktion gesunken, und die Wirtschaftsstruktur hat stark gelitten. Das war ein Ergebnis der knallharten Schrumpfkur. Vom dadurch erreichten Tiefstniveau der Produktion reicht ein kleiner absoluter Zuwachs, um wieder kleine Wachstumsraten auszuweisen. Es könnte der wieder wachsende Export von Tourismusleistungen zugunsten deutscher Reisender sein, der gesamtwirtschaftlich zu diesem Wachstumseffekt führt. Die Verallgemeinerung einer wirtschaftlichen Erholung ist mehr als peinlich. Hinter diesem Miniwachstum steht eine tief abgestürzte Ökonomie ohne wettbewerbsfähige Exportwirtschaft. Sechs Jahre wirtschaftliche Rezession, reale Einkommensverluste, die sich auf 37% addieren, extrem hohe Arbeitslosenrate (allgemein knapp 29%, für Jugendliche über 50%) sowie die sich bis in die Mittelschichten ausbreitende Armut sind die brutalen Eckwerte einer darniederliegenden Ökonomie. Verfassungsorgane sind gut beraten zu überprüfen, ob die sozialen Standards nach der Europäischen Grundrechtscharta durch diese Austeritätspolitik verletzt worden sind. So führt das verordnete Verbot von öffentlichen Zulagen für teurere Medikamente dazu, dass Krebsleiden bei Zahlungsunfähigen nicht mehr therapiert werden. Auch die öffentlichen Haushalte sind zusammengebrochen. Wo es an Produktion fehlt, kann es keine Steuereinnahmen geben. Die gesamten Staatsschulden bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt sind Ende letzten Jahres auf 176,2 % gestiegen. Nicht weil Griechenland nach dem alten Vorurteil wieder zur Verschwendung öffentlicher Mittel zurückgefunden haben könnte, ist die Schuldenlast gestiegen. Vielmehr ist infolge der Schrumpfpolitik die Produktion stärker gesunken als die Neuverschuldung abgebaut werden konnte. Das durch die Geldgeber vorgegebene Ziel, 2022 die Zielmarke 110% zu erreichen, kann ernsthaft mit dieser Doppelstrategie der Geberländer niemals erreicht werden.
Die Euro-Systemkrise an den Wurzeln anpacken
Die grundlegende
Dynamik der Eurokrise ist längst nicht überwunden. Darüber kann die bisher recht erfolgreiche
Rettungspolitik nicht hinwegtäuschen. Durch den Rettungsfonds und die klare Androhung
von Gegenmaßnahmen durch die Europäische Zentralbank sind die Spekulanten aus dem
Euroraum erfolgreich verbannt worden. Diese Maßnahmen schaffen jedoch nur Zeitgewinn.
Die weitergehende Rettung des Euro lohnt sich. Das zeigen die niedrige Inflationsrate,
der starke Außenwert, die attraktive Währungsanlage für Notenbanken, der stabile Währungsraum
ohne Devisenspekulationen und vieles mehr. Die Erfolge können jedoch im Zuge eines
erneuten Ausbruchs der Systemkrise schnell gefährdet werden. Daher müssen endlich
die Gründungsfehler des Maastrichter Vertrags, der Ende 1990 verhandelt wurde, überwunden
werden. Auch der Währungsraum muss durch eine massive Konvergenz der nationalen Wirtschaften
gestärkt werden. Die Führungsrolle muss ein ökologisch starkes Wirtschaftswachstum
in den Krisenländern zusammen mit dem Abbau der Strukturschwächen übernehmen. Die
Botschaft an die Europolitik in diesem Jahr lautet: Marshallplan statt Austeritätspolitik.
Auf dieser Basis lassen sich auch die politischen Strukturen in Richtung einer „good
governence“ stärken und spaltend wirkenden inneren Konflikte abbauen. Hinzukommen
müssen begleitende Hilfsmaßnahmen der EU durch sozial gerechte Schuldenschnitte und
ein System von Eurobonds durch das die öffentliche Schuldenfinanzierung auch gegen
Spekulanten vereinheitlicht werden könnte. Dadurch würde auch die Geldpolitik, die
derzeit einzig und allein dem Auftrag einer Stärkung des Währungsraums gerecht wird,
deutlich entlastet werden. Dieses Konzept einer umfassenden Aufbauökonomie dient dem
Abbau der derzeit vorherrschenden nationalstaatlichen Widerstände und Feindseligkeiten.
Denn, wenn der Euro stirbt, wird das Gesamtprojekt Europa durch die Dominanz ökonomisch
starker Nationalstaaten bedroht. Hier hat die Bundeskanzlerin recht.