Niedrig-, Negativzinsen: EZB im Dilemma
Die geldpolitische Linie der Europäischen Zentralbank ist klar: Wirtschaft
und Staat können sich für längere Zeit auf eine Versorgung mit
Billiggeld einstellen. Derzeit zahlen die Banken für den Kauf von Liquidität
von der Euro-Notenbank nur noch 0,25% an Zinsen. Und Mario
Draghi hat noch einen drauf gesetzt. „Wir haben die Untergrenze noch
nicht erreicht und könnten den Zinssatz grundsätzlich weiter senken“.
Ein Nullzins, der den Banken kurzfristig Geld schenkt, ist noch vorstellbar.
Hier
zeigt sich, die Geldpolitik allein ist mit ihrer hehren Absicht, die
Wirtschaft anzukurbeln, ist machtlos. Dabei weisen die
Rechtfertigungen dieser Politik des fast kostenlosen Geldes von der
Zentralbank in die richtige Richtung. Im Zentrum steht die Gefahr der
Deflation. Diese wird heute schon durch die niedrige Inflationsrate im
Euroraum mit unter einem Prozent signalisiert. Auch in Deutschland
bewegt sich die Rate der Geldentwertung nur noch knapp über einem
Prozent. Sie liegt damit unter der wie ein Schmiermittel wirkenden
Zielinflationsrate von zwei Prozent. Deflation heißt, dass auf breiter
Front die Preise sinken und damit die Gewinnerwartungen der
Unternehmen schrumpfen. Gegen diese Gefahr einer sich
festsetzenden Deflation, die nach den Erfahrungen in Japan
Jahrzehnte andauern kann, richtet sich die monetäre Verbilligung der
Nachfrage. Jedoch, dem über die Bankenwirtschaft erwarteten
Übertragungsmechanismus in die reale Wirtschaft verweigert die
wirtschaftliche Realität die Gefolgschaft. Banken sollten das fast
geschenkte Geld nutzen, die Nachfrage nach preiswerten Krediten zur
Finanzierung von Investitionen in der Wirtschaft anzuregen. Die
Gründe für das Scheitern dieser Transmission liegen auf der Hand. Zum
einen sind nicht nur große Unternehmen wegen ihrer Liquidität nicht
auf die Fremdverzinsung über die Finanzmärkte angewiesen. Zum anderen verhalten sich
die Banken vor allem bei der Kreditvergabe kleinerer
und mittlerer Unternehmen ausgesprochen restriktiv. Im Euroraum
nimmt die Klage über eine Kreditklemme zu. Schließlich liegt der
Kern gesamtwirtschaftlich unzureichender Nachfrage nach Gütern und
Dienstleistungen in der realen Ökonomie. Mangels mittelfristig einigermaßen
stabiler Gewinnerwartungen macht sich ein Investitionsattentismus
breit. Übrigens, die realökonomisch begründbare Zurückhaltung
bei der Kreditaufnahme erklärt auch die schrumpfenden Zinsen
für die Sparer. Schließlich sind die Niedrigzinsen in der Nähe der Nullzone
Folge der überschüssigen Liquidität der Banken, denen es an rentablen
Anlagemöglichkeiten fehlt. Daher erzeugt am Ende die Notenbank
nicht für die vielfach behauptete Enteignung der Sparer durch reale
Verluste des Sparguthabens. In ihrer Geldpolitik spiegelt sich die
nachfragelahme Realwirtschaft wieder. Würde sich die Deflation austoben,
dann wären die Sparer Opfer durch Einkommens- und Arbeitsplatzverluste.
Der Weg der Sparer aus dieser „fiskalischen Repression“
geht nur über eine Überwindung der deflationären Lage.
Die Notenbankpolitik bewegt sich in einem tragischen Dilemma. Sie setzt mit der billigen Geldversorgung die richtigen Signale gegen die drohende Deflation mit hohen Arbeitsplatzverlusten. Allerdings reichen nicht einmal die bisherigen geldpolitischen Instrumente aus, die Banken zur Kreditvergabe an Unternehmen und private Haushalte zu bewegen. Wegen der ungebrochen wirkenden Vertrauenskrise im Bankensystem bunkern die Kreditinstitute ihre Geldüberschüsse selbst bei einem Einlagenzinssatz von Null Prozent bei der EZB. Deshalb wird hinter vorgehaltener Hand in der EZB diskutiert, für diese Einlagen einen Strafzins - beispielsweise von 0,1%- den Banken aufzuerlegen. Allerdings zeigt das Beispiel Dänemark, dass die Banken versuchen, diesen negativen Einlagenzins auf die Kunden über erhöhte Kreditzinsen weiterwälzen. Also, das gesamte geldpolitische Instrumentarium scheint erschöpft.
Die Politik im Euroraum muss endlich begreifen, die EZB allein kann die drohende Wirtschaftskrise nicht verhindern. Der aktuell richtigen Symbolik steht die Unwirksamkeit bitter gegenüber. Der Supermario droht zur Depressionsfigur zu mutieren. Aus diesem Dilemma führt nur eine Finanzpolitik, die die Binnenwirtschaften stärkt. Deshalb muss die staatliche Restriktionspolitik, die vor allem in den Krisenländern zu einer tiefgreifenden Rezession geführt hat, überwunden werden. An die Stelle des trostlosen EU-Fiskalpakts muss eine Infrastrukturoffensive und eine Stabilisierung sozialer Strukturen durchgesetzt werden. Steigende gesamtwirtschaftliche Produktion beschert den Sparern auch wieder ordentliche Zinsen. Die Geldpolitik kann nur ohne Differenzierung der Frage, was produziert werden soll, das Wirtschaftswachstum allgemein monetär unterstützen. Dagegen bietet die Finanzpolitik die Möglichkeit, demokratisch bestimmt zukunftsfähige Produktion etwa im Bereich der alternativen Energien, von Bildung und Forschung, Verkehrssystem und Vereinbarkeit von Familie und Beruf durchzusetzen.