Skip navigation

EURO stabilisieren: Drei Anforderungen

Jul 20, 2013
EURO: Drei Anforderungen zur Weiterentwicklung

Der Euro steckt in einer tiefen systemischen Krise. Der Kern dieser Krise zeigt sich in der Misstrauen erzeugenden Gefahr eines auseinanderbrechenden Eurosystems. Die naiven Versprechungen des Maastrichter Vertrags, der Ende 1990 ausgehandelt wurde, eine optimale Währungsunion würde aus sich heraus genügend Kraft zur real-ökonomischen und wirtschaftsstrukturellen Konvergenz schaffen, ist geplatzt. Der aggressiv eingesetzte Wettbewerbsfaktor zurückhaltende, ja gelegentlich auch sinkende Lohnstückkosten (Arbeitskosten und Bruttoinlandsprodukt je Arbeitsstunde) hat Deutschland seit dem Start 1999 gigantische Exportüberschüsse beschert, andere Mitgliedsländer jedoch belastet. Die Kritiker, die von Anfang an auf den Bumerangeffekt dieser deutschen Exportdominanz-Politik hingewiesen haben, sollten Recht behalten. Die Exportaufträge an deutsche Unternehmen vor allem aus den benachteiligten Krisenländern schrumpfen derzeit deutlich. Die systemische Krise wird jedoch nicht nur ökonomisch durch die Abspaltung der Krisenländer, sondern auch politisch vorangetrieben. Von Anfang an war klar, dass diese Währungsunion ohne Finanz- und Wirtschaftsunion im Krisenschlamassel landen muss. Kronzeuge ist Helmut Kohl, der den Euroraum ohne Politische Union als „Luftschloss“ bezeichnete. Allerdings tragen Helmut Kohl und Theo Waigel am Ende für die schweren Konstruktionsfehler des Maastrichter Vertrags die politische Verantwortung. Abgesehen von der Schaffung der Monetärunion mit der Europäischen Zentralbank sind keinerlei Schritte in Richtung politischer Union in diesem Vertragswerk zu finden. Politisches Misstrauen, ja Feindseligkeit hat sich durch die ökonomische Abkoppelung vor allem der Krisenländer, aber auch durch die von der Bundesregierung vorangetriebene Politik, Finanzzuweisungen aus den Rettungsfonds nur gegen massive staatliche Schrumpfpolitik zu gewähren, breit gemacht. Die bitteren Folgen dieser aus der übermächtigen Wettbewerbsposition Deutschlands gedachten Sanierung sind:
gesamtwirtschaftlicher Abstieg der hilfsbedürftigen Krisenländer in eine lang anhaltende Rezession. Entgegen der Zielvorgabe, die Staatsschuldenquote zu senken, steigen die Staatsschulden bezogen auf die wegbrechende Produktion. Die Austeritätspolitik löst soziale Verelendung in breiten Bevölkerungsschichten aus. Die politische Krise des Euro beschränkt sich jedoch nicht nur auf Massendemonstrationen gegen diesen ökonomischen und sozialen Kahlschlag. Auch in den sog. Geberländern wächst der Widerstand gegen die hoch riskante „Rettungspolitik“. Die Sorge, am Ende müssten die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die Rechnung begleichen, treibt die grundlegende Kritik am Eurosystem an. Die Sehnsucht nach der Rückkehr der D-Mark auf dem Fundament der alten Deutschen Bundesbank, zumindest jedoch nach einer Hartwährungszone, aus der die bisherigen Krisenländer ausgeschlossen sind, zeigt sich nicht nur in der Gründung der Partei „Alternative für Deutschland“. Auch in der Wirtschaftswissenschaft steigt die Zahl der Publikationen zum Ende des Euro durch unterschiedliche Alternativen. Dabei erschrecken die als Alternative angebotenen Beschwörungen segensreicher Wirkungen flexibler Wechselkurssysteme.

Gibt es einen Ausweg aus der aktuellen systemischen Eurokrise? Unter drei Bedingungen ist Frage mit einem „Ja, aber“ zu beantworten: 

Erstens müssen endlich die Lehren aus den schwerwiegenden Konstruktionsfehlern des Maastrichter Vertrags gezogen werden. Im 1992 ratifizierten EU-Vertrag ist die ökonomische Integration auf die Schaffung der Währungsunion zusammen mit der Europäischen Zentralbank reduziert worden. Ausschließlich monetäre Konvergenzkritieren wurden mehr schlecht als recht für die Aufnahme eines Mitgliedslands in den Kreis des Eurosystems berücksichtigt. Über die Minimalkonvergenz bei der Inflationsrate und Kapitalmarktzinsen hinaus ist die nationale Verschuldungspolitik vergemeinschaftet worden.
Dabei wurde die Beschränkung der Neuverschuldung auf 3 Prozent und der Gesamtverschuldung auf 60 Prozent gegenüber dem Bruttoinlandsprodukt nur von der Absicht geprägt, die vermeintlich durch Staatsschulden induzierte Inflation zu vermeiden. Diese beiden Quoten basieren auf der irrwitzigen Annahme, das wirtschaftliche Wachstum beliefe sich dauerhaft auf 5 Prozent. Real-ökonomische Kriterien wie die Produktivität, die Wirtschaftsstruktur oder eine nicht zu überschreitende Arbeitslosenquote spielten keine Rolle. Mit monetaristischer Arroganz ist die Frage, was passiert, wenn ein Land ökonomisch nicht mehr mithalten kann, nicht einmal gestellt worden. Ja, mit der „Bail out“- Klausel wurde den anderen Mitgliedsstaaten und den EU-Institutionen jegliche Hilfe bei der Bewältigung der Schuldenberge in den jeweiligen Ländern verboten. Durch diese Reduktion auf „Monetärunion + Binnenmarkt“ war die tiefe Krise des Eurolandes vorprogrammiert. Eingesetzt hat viel zu spät ein mühsamer, viel zu zögerlicher und unzureichender Lernprozess zur Überwindung der Gründungsfehler. Dazu gehören die Rettungsfonds, ein kleinerer Schuldenschnitt in Griechenland, die Beteiligung der Gläubiger und Kunden im Bankenbereich in Zypern.

Zweitens hat die Euro-Währungsunion nur eine Chance, wenn ihre heutigen Vorteile belegbar sind. Dabei wird die gute Euro-Performance im Klima der vielen Krisen des Gesamtsystems unterschätzt. Die Inflationsrate liegt wohl auch auf mittlere Sicht unterhalb des auch damals durch die Deutsche Bundesbank genutzten, stablitätsorientierten Zwei- Prozent-Ziels. Auf das Jahr 2013 hochgerechnet wird ein Anstieg des harmonisierten Verbraucherpreis-Index mit nur 1,6% erwartet. Der Euro/US $- Außenwert, der am ersten Tag der Notierung des Euro bei 1,18 €/US $ lag, schwankt heute um 1,30. Wenn auch derzeit leicht rückläufig, die Eurodevise wird von den Notenbanken weltweit als Reservewährung – vor allem in China – genutzt (1. Quartal 2013 Anteil an Weltwährungsdevisen-Reserven 23,7%). Ein weiteres gewichtiges Argument für den Euro: Diesem Währungsraum sind vor allem in der jüngsten Finanzmarktkrise die vorangegangenen, schädlichen Devisenspekulationen erspart geblieben. Gewiss hätte sich ohne den Euro die jüngste Finanzmarktkrise zu Lasten der produzierenden Wirtschaft ausgetobt. Schließlich sind im Handel zwischen den Mitgliedsländern Informations- und Transaktionskosten, die bei der Unsicherheit von Wechselkursen teuer sind, erspart geblieben. Der allerdings wegen der wirtschaftlichen Rezession in den Krisenländern geschrumpfte Anteil deutscher Exporte im (wechselkursfreien) Euroraum machte 2012 37,5% aus. Dazu kommt der stattliche Anteil von 65% der in Euro abgewickelten Exportgeschäfte mit Drittländern.

Diesen Vorteilen stehen die Opportunitätskosten gegenüber, die bei einem wie auch immer gearteten Ausstieg aus dem Euro aufzubringen wären. Erste Berechnungen zu den in Crash-Szenarien nachgewiesenen Kosten liegen vor. Die Alternativen, die zum Euro gehandelt werden, würden dauerhaft die ökonomische Entwicklung im ehemaligen Währungsraum destabilisieren. Dies gilt insbesondere für die geforderte Parallel- Währung, bei der der Euro mit nationalen Währungen kombiniert wird. Auch ist der Ruf nach der Wiederbelebung des Europäischen Wechselkurssystems, mit dem ab 1979 bis zur Ablösung durch die Währungsunion die beteiligten Wechselkurse durch die Notenbanken innerhalb von Bandbreiten gesichert wurden, unverständlich. Immerhin mussten siebzehnmal die Leitkurse geändert werden. Im August 1993 kam es unter dem Druck spekulativer Angriffe auf dem Devisenmarkt vor allem durch George Soros, der für seine Spekulation auf die Abwertung des englischen Pfunds hohe Gewinne kassierte, zu einem Befreiungsschlag. Die Bandbreite um die die meisten EWS-Wechselkurse schwanken dürfen, wurde über Nacht auf ± 15 Prozent ausgeweitet. Damit hat das System bis Ende 1998 nur noch formal existiert. Es waren diese negativen Erfahrungen, die die Schaffung der Euro-Währungsunion beflügelt haben. In alternativen Systemen zum Euro wäre ein massiver Aufwertungsdruck auf die D-Mark gewiss. Aber auch die politischen Schäden in der EU wären riesig. Die Ängste in der EU vor der machtvollen D-Mark-Dominanz mit einer reaktivierten Deutschen Bundesbank würde die politische Zusammenarbeit schwer belasten. So elend derzeit der Wechsel von einer Krisenkonferenz zur nächsten auch wirkt, die Eurounion zwingt zur politischen Abstimmung.

Drittens hängt die Euro-Zukunft maßgeblich von einem überzeugenden Konzept zur voranschreitenden Konvergenz in Richtung wirtschaftlicher und finanzpolitischer Koordination ab. Die derzeit vorherrschende Politik des konzeptionslosen Durchwurstelns muss schnell beendet werden. Derzeit sind die unzureichenden Reparaturmaßnahmen noch viel zu stark von spalterisch wirkenden, nationalstaatlichen Interessen geprägt. Der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ hat es in seinem Sondergutachten auf den Punkt gebracht: „Die europäische Politik entspricht einer Strategie der Trippelschritte… Trotz der inneren Logik dieser Strategie, mit der die Rettungsschirme möglichst klein und die Vergemeinschaftung von Lasten gering gehalten werden sollen, ist dies letztlich die zentrale Ursache der wiederkehrenden Verschärfung der Vertrauenskrise“. Bisher hat die Notwendigkeit, wenigstens die Währungsunion durchgängig zu optimieren, einzig und allein die EZB begriffen. Der Geldpolitik stellt sich neben der alt bekannten Aufgabe der monetären Stärkung der Gesamtwirtschaft bei Geldwertstabilität eine bisher nicht bekannte Aufgabe: Um geldpolitische Impulse überhaupt durchsetzen zu können, muss sie sich der drohenden Gefahr des Auseinanderbrechens widersetzen. Auch gegen die Spekulanten, die auf den Absturz von Krisenstaaten setzen, richten sich die unbeschränkten erfolgreichen Käufe von zinsdrückenden Staatsanleihen aus den Krisenländern auf den Sekundärmärkten. Zusammen mit den Rettungsfonds ist es der Zentralbank gelungen, die zinstreibenden Spekulanten zu verjagen. Zu dieser Lückenbüßerfunktion wird die Notenbank auch durch die völlig kontraproduktive, den Krisenländern oktroyierte Schrumpf-Finanzpolitik, gezwungen. Unbestreitbar ist diese Politik im Maastrichter Vertrag nicht einmal angedacht worden. Nachdem durch den untauglichen Vertrag dieses Krisenszenario überhaupt erst erzeugt worden ist, gibt es zur Nachbesserung keine Alternative.

Die Währungsunion muss endlich durch eine angemessene Fiskal- und Wirtschaftsunion ergänzt werden. Dabei lenken die recht abstrakten Forderungen nach einer Wirtschaftsunion bis hin zu einer Wirtschaftsregierung von den konkret machbaren Aufgaben eher ab. Die Finanz und Wirtschaftsstrukturpolitik muss überhaupt erstmals zielorientiert und verbindlich koordiniert werden. Dadurch würde die Geldpolitik, die mit ihrer derzeitigen Niedrigzinspolitik auf die unterschiedliche ökonomische Entwicklung in den Mitgliedsländern keine Rücksicht nehmen kann, entlastet. Erste Priorität hat der sofortige Ausstieg aus der Krisen beschleunigenden Schrumpf-Finanzpolitik. Die für Finanzhilfen aus dem Rettungsfonds verlangte Gegenleistung Austeritätspolitik wirkt katastrophal. Massive Kürzungen im öffentlichen Haushalt, insbesondere die Erhöhung der Massensteuer, die verordneten Lohnsenkungen sowie Privatisierungen haben beispielsweise Griechenland im sechsten Jahr in eine tiefe Rezession katapultiert. Nicht einmal das fiskalische Ziel, die Schuldenquote zu senken, wird erreicht. Im Gegenteil, am Ende steigt der Schuldenstand bezogen auf das dadurch schrumpfende Bruttoinlandsprodukt. Die Antwort lautet: Vergemeinschaftung einer expansiven Finanz- und Wirtschaftsstrukturpolitik. Statt Politik nach der Brüningschen Notverordnungspolitik in den 1920er/1930er Jahren wird ein Herkulesplan in den Krisenländern erforderlich. Weil schließlich die Staatsschulden mit der Finanzkrise durch Rettung maroder Banken in Euro-Mitgliedsstaaten nach oben getrieben wurden, müssen in einer EU-Bankenunion frühzeitig Fehlentwicklungen aufgedeckt und am Ende marode Banken abgewickelt werden.

Der Euro überlebt, aber nur wenn dieser in ein demokratisch fundiertes Konzept fiskalischer und wirtschaftlicher Stabilisierung eingebunden wird. Mit jeder politischen Maßnahme gilt es, das verloren gegangene Vertrauen in dieses Projekt zurückzugewinnen.

Last modified: Dec 16, 2018