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Euroskeptische Wechselkursphantasien

Jun 6, 2013
Europhobie: Folgenreiche Irrtümer über die Rückkehr zu Wechselkurssystemen

Die derzeitige Ruhe kann nicht darüber hinwegtäuschen. Der Euro bewegt sich in einer ökonomischen wie politischen Krise. Die vielen Prophezeiungen seines Endes nehmen aus allen politischen Lagern zu. Dabei fällt die Suche nach Gründen scheinbar nicht schwer: Ökonomisch ist der Euroraum durch eine tiefe Spaltung geprägt. Dazu hat auch die perspektivlose Rettungspolitik in den abgehängten Ländern beigetragen. Um die Finanzmärkte durch die großzügige Bedienung der Staatsschuldentitel der Gläubiger aus dem Rettungsfonds zu stabilisieren, sind in den Krisenländern staatliche Ausgaben gestrichen, Massensteuern erhöht, Löhne gekürzt und durch Privatisierung von Unternehmen Arbeitsplätze vernichtet worden. Diese Austeritätspolitik hat in diesen Ländern gesamtwirtschaftlich anhaltende Produktionseinbrüche und soziale Not erzeugt. Am Ende waren die Wachstumseinbrüche größer als der Rückgang der Neuverschuldung. Das Ziel, den Anteil der Neuverschuldung am Bruttoinlandsprodukt zu senken, wird verpasst. Der durch Gründungsfehler und unzureichende Rettungspolitik fragmentierte Euroraum schlägt sich derzeit politisch in wachsendem Misstrauen, ja in Feindseligkeit nieder. Noch nie waren die nationalen Gegensätze im Europrojekt derart stark. Dabei muss klar sein, ein Währungsraum ohne politisches Vertrauen zwischen den Mitgliedsländern hat keine Überlebenschance. Auch in den Ländern, die die Rettungsfonds fiskalisch absichern, nehmen wegen der anhaltenden Krisenanfälligkeit und steigender fiskalischer Belastungen die politischen Widerstände gegen die Transferpolitik zu.

Euro-Exit-Debatten
Die voranschreitende ökonomische, soziale und politische „Entsolidarisierung“ im Euroraum sowie die mittelfristig perspektivlose Politik mit den derzeitigen Rettungsfonds, die nicht in eine zukunftsfähige Vergemeinschaftung von Wirtschafts- und Finanzpolitik eingebunden wird, treibt Diskussionen und politische Aktivitäten in Richtung Ausstieg aus dem Euro voran. In der Wirtschaftswissenschaft häufen sich alternative Varianten zur heutigen Gemeinschaftswährung. Die eigens dazu gegründete Partei „Alternative für Deutschland“ setzte ursprünglich auf eine radikale Rückkehr zu nationalen Währungen.

Die nationalstaatlichen Sehnsüchte nach der alten D-Mark als Fixpunkt einer Hartwährungszone hat von Anfang an das Europrojekt belastet. Dabei gab es zum Zeitplan und zum Management der Währungsunion durchaus berechtigte Kritik. Die nationalstaatlich unterschiedlichen ökonomischen Verhältnisse wurden in eine für alle Mitgliedsländer einheitliche Währungsunion gestopft. Auf die Frage, wer Mitgliedsland werden darf, wurden ausschließlich monetäre Konvergenzkriterien wie Inflationsrate, Zinssätze sowie die fiskalischen Schuldenbegrenzungen im Verhältnis zur gesamtwirtschaftlichen Produktion berücksichtigt. Die Notwendigkeit auch einer wirtschaftsstrukturellen Mindestkonvergenz ist geleugnet worden. So wurde beispielsweise auf die Vorgabe einer maximal zulässigen Arbeitslosenquote bei der Aufnahme in den Euroraum verzichtet. Ausdruck dieser damals angenommenen harmonistischen Währungswelt ist die Tatsache, dass die Frage, was passiert, wenn ein Land nicht mithalten kann, im Vertragswerk nicht beantwortet wird. Im Gegenteil, den anderen Mitgliedsländern samt den EU-Institutionen wird verboten, notleidenden Mitgliedern zu helfen (No-Bail Out-Klausel). Im Klima eines „einheitlichen Binnenmarkts plus Monetärunion“ entwickelte sich Deutschland zum aggressiven Profiteur der Währungsunion. Niedrige Lohnabschlüsse sowie die Zunahme des Niedriglohnsektors führten gegenüber den vergleichsweise hohen Produktivitätszuwächsen zu massiven Wettbewerbsvorteilen. In den Ländern unter dem deutschen Importdruck sind heimische Produktionsmöglichkeiten belastet worden. Seit seiner Einführung trieb dieses deutsche Exportüberschussmodell den Euro in die Krise. Bitter rächte sich der Verzicht auf eine vergemeinschaftete Wirtschafts- und Finanzpolitik. Schließlich wurden die Lehren aus den immer wieder ausbrechenden Krisen völlig unzureichend gezogen. Mit dem ungleichen Tauschgeschäft Finanzhilfen aus den Rettungsfonds gegen Austeritätspolitik ist in den Krisenländern die Gesamtwirtschaft geschrumpft und die soziale Armut gestiegen.

In diesem Klima ökonomischer und politischer Spaltung drohen die Vorteile eines innerhalb einer Wirtschafts- und Finanzunion gestalteten Euros verdrängt zu werden. Dabei ist unbestreitbar: Seit seiner Gründung hat sich der Euro als stabile Währung etabliert und als Anlagewährung weltweit Anerkennung gefunden. Die Spekulanten mit dem Vermögenswert Devisen, die die Bewegung der Wechselkurse vorantreiben, sind dem Euro-Raum erspart geblieben. Es bedarf keiner großen Phantasie, sich die vertiefte Finanzmarktkrise unter dem Diktat von Devisenspekulationen gegen die einzelnen Währungen in Europa vorzustellen. Über den ökonomischen Nutzen hinaus sind die politischen Vorteile einer ernst gemeinten Währungsunion unübersehbar. Die einheitliche Währung erhöht den Druck in Richtung politischer Kooperation zwischen den Mitgliedsländern. Das ist eine der wichtigen Lehren aus der bisherigen Eurokrise: Die perspektivische Aufgabe lautet, die Vergemeinschaftung in Ergänzung zur Währungsunion durch eine Wirtschaft- und Fiskalunion voranzutreiben. Wird diese Lehre nicht gezogen, dann sind immer wieder neue Krisen vorprogrammiert. Am Ende könnten die politischen und ökonomischen Widerstände gegen den Euro-Torso übermächtig werden.

Streitschriften und politische Manifeste gegen die Einheitswährung haben derzeit Konjunktur. Auch die Deutsche Bundesbank, die sich von Anfang an gegen den Abschied von der D-Mark zur Wehr gesetzt hatte, wittert derzeit Morgenluft. Die Politik der EZB, mit umfangreichen Käufen von Staatsanleihen aus Krisenländern wenigstens die Finanzmärkte ruhig zu stellen, wird massiv angegriffen. In einem Schriftsatz im Klageverfahren gegen die durch das deutsche Parlament beschlossenen Rettungsmaßnahmen vor dem Bundesverfassungsgericht Anfang Juni behauptet die Bundesbank sinngemäß: Nationale Souveränitätsrechte dürfen nicht zugunsten einer Haftungs- und Transferunion aufgegeben werden. Da jedoch der Euro ohne eine weitere Vergemeinschaftung nicht zu halten ist, hätte die Deutsche Bundesbank ein Ende der Währungsunion zu verantworten.

Linke und andere Wechselkursphantasien
Gegenüber dieser sattsam bekannten, stark nationalstaatlichen Abwehrhaltung, die auch viele Euro-feindliche Politiker und Wissenschaftler eint, überraschen neuerdings Vorschläge aus der linken Politik und der systemkritischen Politischen Ökonomie. Bei den Vorschlägen sind folgende Defizite unübersehbar: Die Erfolge der bisherigen Währungsunion werden nicht den Kosten gegenübergestellt. Auch wird nicht über die Folgen einer Euro-Exitstrategie für die unterschiedlichen Länder diskutiert. Die belastenden Folgen gehen weit über die massive Aufwertung des Hartwährungskerns um die DMark in einem Wechselkurssystem hinaus. Ausgeblendet bleibt die Auseinandersetzung über Schritte und Instrumente eines Ausbaus zur Wirtschafts- und Fiskalunion.

Verschiedene Vorschläge zum Euro-Exit werden derzeit von namhaften Linken gestreut. Ein kurzer Blick auf die wichtigsten Vorschläge lohnt sich:

Hankels Parallelwährung
Das Modell einer Parallelwährung, das Wilhelm Hankel in seinem neuen Buch „Die Eurobombe wird entschärft“, propagiert, beeinflusst linke Diskussionen über die Zukunft des Euro. Immerhin werden gegen eine komplette Rückkehr zur D-Mark gute Argumente genannt. Vom Chaos bei der Abschaffung des Euro vergleichbar dem Untergang des „römischen Reichs“ ist die Rede. Die Stichworte sind: Abwertung der Euro-Schuldenstände durch die Notierung in jeweiligen nationalen Währungen sowie der Aufwertungsschock in Deutschland. Am Ende löst der Vorschlag einer Parallelwährung nur Kopfschütteln aus. Geschaffen werden soll der Euro zusammen mit parallel geltenden nationalen Währungen. Die Währungspreise sollen durch flexible Wechselkurse geregelt werden. Der Euro gilt als „gutes Geld“, das dem Sparen, der Vermögensbildung dienen soll. Die nationalen Währungen wiederum dienen als Zahlungsmittel für laufende Ausgaben, also als Geld im Supermarkt. Auf das Greshamsche Gesetz, das im 16. Jahrhundert durch Sir Thomas Gresham unter der Regentschaft von Königin Queen Elizabeth entwickelt wurde, bezieht sich Wilhelm Hankel. Zur historischen Wahrheit gehört die Tatsache, dass bei solchen Parallelwährungen immer das schlechte Geld das gute Geld aus dem Umlauf verdrängt hat. Auch in der Hankelschen „schönen Welt des Währungswettbewerbs“ würden die nationalen Währungen schnell durch den Euro geschluckt werden. Dieses realitätsferne, konstruierte Modell würde die Probleme nicht lösen. Vielmehr würde das währungspolitische Chaos zum Prinzip erkoren. 

Lafontaines Rückkehr zum EWS
Mit einem rückwärts gerichteten Vorschlag überrascht Oskar Lafontaine. Er will zurück zum „Europäischen Währungssystem“, das Mitte 1978 durch Helmut Schmidt und Giscard d´Estaing auf den Weg gebracht worden war. In diesem Fixkurssystem mit Schwankungsmargen wurden die Wechselkurse zwischen den Mitgliedsländern per Beschluss fixiert. Die Notenbanken verpflichteten sich, bei einer Abweichung der Wechselkurse über +/- 2,25% obligatorisch gegenzusteuern. Oskar Lafontaine hat auch noch den Vorschlag, den damaligen ECU wiederzubeleben, ins Spiel gebracht. Dabei handelt es sich um eine reine synthetische Recheneinheit zwischen den beteiligten Ländern. Sie wird durch die Änderungen der Leitkurse bestimmt. Dieses Wechselkurssystem hat in der Tat die monetäre Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Nationalbanken als wichtigen Schritt zur Euro-Währung gestärkt. Am Ende ist das EWS jedoch an der hohen Instabilität der Währungspreise gescheitert. Siebzehnmal mussten die festen Wechselkurse geändert werden. Einem Befreiungsschlag gleich wurden ab August 1993 zur Rettung des EWS die Schwankungsmarge um den fixierten Wechselkurs, ab dem die Notenbanken intervenieren müssen, auf +/- 15 % ausgedehnt. Genau dieses grundlegende Versagen des EWS hat den Druck auf eine schnelle Einführung des Euro erhöht. Oskar Lafontaine müsste die Gründe für das Scheitern kennen. Dieses System war hochgradig spekulationsanfällig. Immer wieder wurde auf Ab- bzw. Aufwertungen erfolgreich mit hohen Gewinnen an den Finanzmärkten spekuliert. So hatte George Sorros mit aggressiven Spekulationen auf eine Abwertung des englischen Pfunds gesetzt. Während ihm Spekulationsgewinne in Milliardenhöhe gewiss waren, musste Großbritannien im Februar 1992 aus dem EWS aussteigen. Erstmals gelang es einem Mega-Spekulanten, eine traditionsreiche Notenbank in die Knie zu zwingen. Oskar Lafontaines Rückgriff auf das EWS, das die Spekulanten als Beute missbrauchten, ist unverständlich. Schließlich hatte er sich als damaliger Bundesfinanzminister unter erbitterten nationalen und internationalen Protesten für ein weltweites Währungssystem gegen Spekulanten eingesetzt.

Zurück zum Europa der wechselkursgesteuerten Ökonomien
Wie gezeigt, im Zentrum der Vorschläge zum Euro-Exit steht die Wiederentdeckung der immer wieder beschworenen „segensreichen Wirkungen“ flexibler Wechselkurse. Dabei wird die ökonomisch produktive Funktion von sich frei auf den Devisenmärkten bildenden Wechselkursen brandgefährlich überschätzt. Dabei taugen die traditionellen, in den Lehrbüchern gepflegten Wechselkurstheorien schone lange nicht mehr zur Erklärung kasinokapitalistischer Umtriebe. Mit Inflationsdifferenzen zwischen Ländern, die im Zentrum der Kaufkraftparitätentheorie stehen, sowie mit der unterschiedlichen Wirtschaftskraft zwischen Ländern lassen sich die flatterhaften Wechselkurse nicht ausreichend erklären. Dagegen sind vermögensorientierte Ansätze überlegen. Zusammen mit den sich ändernden Inflationserwartungen bestimmen Renditedifferenzen auf den Finanzmärkten die Bewegung der Wechselkurse. Übermächtig wirken die spekulativen Geschäfte mit dem Vermögensobjekt Devisen. Das zeigt sich an den Devisenumsätzen. 2012 überstieg der Handel mit Devisen das 16,2-fache des Weltsozialprodukts. Nur noch ein verschwindender Teil dieser Umsätze dient der durch die Produktionswirtschaft veranlassten rationalen Absicherung gegen Wechselkursrisiken. Wie auch immer die alternativ zum Euro vorgeschlagenen Wechselkursregime im Einzelnen ausfallen, am Ende dominieren die spekulativen Triebkräfte. Genau gegen diese spekulativ getriebenen Wechselkurse steht der unbestreitbare historische Vorteil des Euro.

Flassbecks unterschätzte Wirtschaftsstrukturpolitik
Auch die in einfachen Modellen unterstellten, produktionswirtschaftlichen Wirkungen von Ab- und Aufwertungen lassen sich nicht auf alle Euro-Mitgliedsländer übertragen. Dazu das Beispiel Wiedereinführung der griechischen Drachme. Behauptet wird, durch deren massive Abwertung stiegen die Erlöse aus Exportgeschäften und die internationale Konkurrenzfähigkeit würde verbessert. Diese Erwartung ist mehr als naiv. Hier wird eine Wirkungskette, die für das seit Jahren durch internationale Konkurrenz gestählte Deutschland gilt, auf ein nicht vergleichbares Land übertragen. In Griechenland fehlt es an einer tragfähigen, diversifizierten Exportwirtschaft. Die lässt sich nicht durch eine Währungsabwertung schaffen. Vielmehr muss sie überhaupt erst durch eine Politik zum Aufbau von konkurrenzfähigen Wirtschaftsstrukturen geschaffen werden. Diese Aufgabe gehört auf die Agenda eines gemeinschaftlich verantworteten Marshall-Plans. Am Ende hätte aus der Abwertung nur der Tourismus Vorteile zu erwarten. Darüber hinaus geriete die inländische Wirtschaft unter den massiven Druck durch den verteuerten Einkauf ausländischer Vorleistungen einer importierten Inflation.

In der Studie von Heiner Flassbeck und Costas Lapavitas für die Rosa- Luxemburg-Stiftung wird die erforderliche Konvergenz durch eine gemeinsame Wirtschaftsstrukturpolitik ausgeblendet. Im Katalog über das, was zur Rettung des Euro getan werden müsste, kommt diese Anforderung nicht vor. Notwendige Wirtschaftsstrukturpolitik ist für den Saldenmechaniker Flassbeck ein Fremdwort. Sie wird einem Makroökonomik-Reduktionismus geopfert. Die Folge ist zuerst eine unzureichende Ursachenanalyse zur Euro-Krise. Es waren seit seiner Gründung wirtschaftsstrukturelle Unterschiede unter dem Dach der einheitlichen Währung, die den Euro gefährdet haben. Die nachfolgende Politik niedriger Löhne gegenüber hohen Produktivitätszuwächsen aus Deutschland hat auf dieser Basis die Spaltung vertieft. Also, zur Stärkung der Wirtschaftskraft in Krisenländern reichen nicht nur Lohnerhöhungen gegenüber der Produktivitätsentwicklung in Deutschland. Der wirtschaftsstrukturelle Anpassungsprozess, verknüpft mit einem rationalen Steuersystem, sollte unter dem Dach einer Währungs- und Wirtschaftsunion vorangetrieben werden.

Zukunft: Euro 2.0
Das Eurosystem muss endlich unter Berücksichtigung der berechtigen Kritik weiterentwickelt werden. Zum Projekt Euro 2.0 gehören der Abbau der bisherigen Defizite der Integration sowie das schnelle Ende der den Krisenländern verordneten Austeritätspolitik. Der Euro hat nur eine Chance, wenn die Haftungs- zur Verantwortungsunion ausgebaut wird. Die Zukunft der EU ohne Euro sähe düster aus. Denn ohne diese Gemeinschaftswährung würden sich selbst überlassene Elendsökonomien gegenüber währungsstarken Ländern etablieren. Der Zweifel der links-demokratischen Kräfte an der Realisierung einer perspektivischen Euro-Rettung ist wegen der nationalstaatlichen Interessengegensätze verständlich. Deshalb den Schwenk zu Wechselkursen zu vollziehen, wäre rückwärtsgewandt, defätistisch. Ein „Euro – aber anders“ für eine Arbeitsplätze schaffende, soziale und ökologische Wirtschafts- und Währungsunion ist machbar und bleibt das Ziel.

Last modified: Dec 16, 2018