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Europäische Zentralbank in der Einheitszinsfalle

Jul 20, 2013
Europäische Zentralbank in der Zwickmühle Einheitlicher Leitzins - Zerklüfteter Wirtschaftsraum

Die Sitzung des EZB-Rats am 4. Juli dieses Jahres ragt aus der üblichen Routinearbeit heraus. Die Kontroverse über die einheitliche Zinspolitik in der Eurounion bei einem gespaltenen Wirtschaftsraum verdient durchaus das Etikett historisch. Am Ende des Streits wurde zwar einstimmig beschlossen, die Niedrigzinspolitik mit dem unveränderten Leitzins von 0,5 Prozent für die Besorgung von Liquidität durch die Banken beizubehalten. Vorausgegangen war jedoch ein heftiger Streit im Euro-Rat. Aufgebrochen ist ein seit der Schaffung der Währungsunion von 1999 schwelender Konflikt einer einheitlichen Geldpolitik bei riesigen Unterschieden der wirtschaftlichen Entwicklung in den Mitgliedsländern. Zwar verweigert der EZB-Rat immer noch im Unterschied zur Praxis der US-amerikanischen Notenbank veröffentlichte Protokolle. Der knallharte Richtungsstreit ist jedoch in die Öffentlichkeit gelangt. Mit deutlichem Wohlwollen durch den Präsidenten Mario Draghi hatte der EZB-Chefvolkswirt Peter Praet seine makroökonomische Analyse vorgelegt und eine weitere Senkung des Leitzinses auf 0,25 Prozent geschlussfolgert. Sicherlich hätte die weitere Annährung an die Nullverzinsung für die durch die Banken bei der EZB auf Frist geliehenen Liquidität kaum wirtschaftlich etwas bewegt. Es geht jedoch um die Symbolkraft dieses monetären Signals. Die EZB hätte damit zeigen können, die „tiefe Rezession“ bei einer Inflationsrate unterhalb der zulässigen Obergrenze von 2 Prozent nicht hinzunehmen. Der schließlich gefundene Kompromiss, den Leitzins gegen Null schrumpfen zu lassen, ist das Ergebnis einer harten Kontroverse in der Ratssitzung. Sieben Ratsmitglieder, unter anderem der Bundesbankpräsident Jens Weidmann sowie Klaas Knot von der niederländischen Zentralbank, haben gegen den weiteren Schritt in Richtung Nullverzinsung argumentiert. Überraschenderweise hat wohl auch Jörg Asmusen, Mitglied des geschäftsführenden EZB-Direktoriums, gegen diese geldpolitische Verzweiflungstat gestimmt haben. Der Kompromiss hat es jedoch in sich. Erstmals in der Geschichte der EZB wurden „zukunftsgerichtete Hinweise zu den EZB-Leitzinsen“ beschlossen. Dabei geht es nicht nur, wie der „Monatsbericht der EZB“ vom Juli 2013 festhält, um das Bekenntnis, „für längere Zeit“ das Niedrigzinsniveau beizubehalten. Mit der Option, die „Leitzinsen“ möglicherweise auch auf ein niedriges Niveau zu senken, findet sich die EZB-Ratsmehrheit, die jetzt schon den Zins für die Beschaffung kurzfristiger Liquidität durch die Banken um 25 Basispunkte senken wollte, wieder. Spiegelbildlich ist klar, die Finanzmärkte sowie die Kredite beanspruchende Produktionswirtschaft braucht mit einer Verteuerung der Refinanzierungskosten „für längere Zeit“ nicht zu rechnen. Da müsste schon der derzeit völlig unwahrscheinliche Fall einer sich beschleunigenden Inflation eintreten.

Was aber steckt hinter dem Streit um diesem geldpolitischen Kompromiss Mit der geldpolitischen Entscheidungsfindung ist ein tiefgreifendes Dilemma der Währungsunion kenntlich geworden. Die EZB erfasst erstmals in dieser Deutlichkeit die von Anfang an vorgetragene Kritik an der Fehlkonstruktion des Währungsraums ohne abstimmte Finanzpolitik auf. Die sieben Notenbankenchefs, die gegen den auf 0,25 Prozent schrumpfenden Leitzins gewettert haben, kommen vorrangig aus den Nordländern. Dagegen konzentrieren sich die Befürworter auf die Krisenländer. Die geldpolitische Doktrin kann jedoch nur lauten: In einem einheitlichen Währungsraum kann es für alle Mitgliedsländer vom Süden bis in Norden nur eine einheitliche Zinspolitik geben. Jedoch, diese gegen die Rezession des gesamten Währungsraums gerichtete Geldpolitik kommt wegen der extrem unterschiedlichen ökonomischen Lage in den Mitgliedsländern ausgesprochen unterschiedlich an. Die Länder mit einer Schrumpfökonomie benötigen eine stark expansive Geldpolitik. Gesamtwirtschaftlich und wirtschaftsstrukturell wettbewerbsfähige Länder mit intensiv ausgelasteten Kapazitäten erwarten auch wegen eines erhöhten Inflationsrisikos eine zumindest vorsichtig restriktive Geldpolitik. Der EZB-Präsident verwies erstmals in dieser Deutlichkeit auf das Dilemma einer unteilbaren Geldpolitik von Griechenland über Deutschland bis Finnland. Wenige Tage nach der EZB-Entscheidung hat er im Rahmen einer Sitzung des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Europaparlaments am Beispiel höherer Zinsen auf den Widerspruch zwischen einheitlicher Geldpolitik bei sich national unterschiedlich entwickelnden Ökonomien hingewiesen: Höhere Zinsen würden zwar bestimmte volkswirtschaftliche Risiken (etwa Inflation) reduzieren, aber auch die Lage von wirtschaftlich schwächelnden Ländern destabilisieren. Immerhin hat die EZB unter erbittertem Widerstand vor allem durch die Deutsche Bundesbank erstmals auf der Basis unteilbarer Geldpolitik Maßnahmen eingeführt, bei den regionale Motive berücksichtigt werden. Mit dem unorthodoxen Ankauf von Staatsanleihen von den Sekundärmärkten aus Krisenstaaten, die sich dem ESM-Rettungsfonds unterwerfen, werden die Finanzmärkte gezielt stabilisiert und dem Auseinanderbrechen des Eurolandes entgegengewirkt. Die Euro-Notenbank hat ihre neue währungspolitische Funktion, die in keinem Lehrbuch vorkommt, gelernt: Um ihre geldpolitischen Ziele durchzusetzen, muss sie den vom Auseinanderbrechen bedrohten Währungsraums stabilisieren. Zusammen mit dem Ankauf von Staatsanleihen werden auf der Basis einer unteilbaren Zinspolitik auch mit reduzierten Anforderungen an die geforderten Sicherheiten gegenüber Wertpapieren aus Krisenländern im Portfolio der Notenbank regionale Motive berücksichtigt.

Es gibt aus dem Dilemma einer im Prinzip einheitlichen Euro-Geldpolitik gegenüber den realwirtschaftlichen zersplitterten Mitgliedsökonomien einen Ausweg. Ins Zentrum rückt die Finanzpolitik der Mitgliedsstaaten im Euroland. Auf der Basis einer einheitlichen Geldpolitik muss die Finanzpolitik in den einzelnen Mitgliedsländern umso mehr an der jeweiligen gesamtwirtschaftlichen Lage ausgerichtet werden. Krisenländer brauchen eine auch gemeinschaftlich unterstützte aktive Finanzpolitik zur Stärkung deren Gesamtwirtschaft. Gegen dieses Prinzip einer einheitlichen Geldsteuerung plus einer makroökonomisch steuernden Finanzpolitik wird in den Krisenstaaten fundamental verstoßen. Während die Möglichkeiten einer restriktiven Geldpolitik mit Blick auf den gesamten Euroraum beschränkt sind, werden die Krisenländer zur öffentlichen Schrumpfpolitik gezwungen. Die als „Gegenleistung“ für Finanzhilfen aus dem Rettungsfonds verlangte extrem restriktive Finanzpolitik wirkt wie ein Sprengsatz für die Wirtschaft und Gesellschaft: Ausgabenkürzungen, höhere Massensteuern sowie Privatisierungen beschleunigen den ökonomischen Absturz. Diese verordnete Austeritätspolitik hat die Krisenländer in eine anhaltende tiefe Rezession gestürzt. Dem Schuldenparadoxon folgend, steigt im Widerspruch zur Zielsetzung der Anteil des Staatsschuldenstands am weggebrochenen Bruttoinlandsprodukt. Soziale Verelendung in den Krisenstaaten wird zum politischen Sprengsatz der Eurounion.

Die EU-Gremien und verantwortlichen Nationalstaaten sollten endlich aus der gescheiterten Politik „Finanzhilfen nur gegen Schrumpfprogramme“ eine Absage erteilen. Die Krisenländer brauchen eine aktiv gegensteuernde Finanzpolitik bei gleichzeitiger Stärkung der Wirtschaftsstruktur. Wenn dann noch die Finanzmärkte reguliert und die die Staatsschulden antreibenden Bankenzusammenbrüche im Rahmen einer EU-Bankenunion präventiv verhindert werden, dann kann sich die EZB wieder auf ihre originären Aufgaben zurückziehen.

Last modified: Dec 16, 2018