Ökonomie-Nobelpreis für: Mindestlohn kein Jobkiller
Mit dem diesjährigen Wirtschafts-Nobelpreis ehrt das Komitee drei Spezialisten auf dem Gebiet der experimentellen Ökonomik für ihre Forschungen zum Arbeitsmarkt. Es sind die drei Ökonomen David Card, Joshua Angrist und Guido Imbens. Der aus dem US-Staat Ohio stammende Angrist und der in Eindhoven geborene niederländisch-amerikanische Wissenschaftler Imbens teilen sich die eine Hälfte für ihre methodischen Beiträge zur Analyse von Kausalbeziehungen. Der Kanadier David Card erhält die andere Hälfe des Preises. Was eint die Drei? Das Preisträger-Trio hat gezeigt, dass ihre „natürlichen Experimente dabei helfen, wichtige Fragen für die Gesellschaft zu beantworten“, sagte der Vorsitzende des zuständigen Nobelpreis-Komitees Fredriksson. Er fügte hinzu: „Die kombinierten Beiträge der Preisträger haben die empirische Arbeit in den Wirtschaftswissenschaften komplett neu gestaltet. Deshalb hat sich unsere Fähigkeit, kausale Fragen von großer Bedeutung für uns alle zu beantworten, enorm verbessert.“
Dabei haben die Ergebnisse der Arbeitsmarktforschung von David Card auch in Deutschland großen Einfluss auf die Durchsetzung von Mindestlöhnen. Inhalt ist eine radikale Kritik an der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie, die die Lohnpreisbildung nach dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage modelliert. Dagegen steht im Mittelpunkt der Status abhängig Beschäftigter, deren Arbeits- und insbesondere Lohnbedingungen durch die Unternehmer mit Monopolmacht definiert werden. Gegen dieses neoklassische Arbeitsmarkt-versagen richtet sich die ordnungspolitisch unvermeidbare Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns mit dem Ziel, die Bedingungen für faire Löhne verbessern. Das neoklassische Mantra von Mindestlöhnen als Jobkiller wird widerlegt. In späteren Untersuchungen hat Card am Beispiel der kurzfristigen Einwanderungswelle aus Kuba in verschiedene Regionen Floridas nachgewiesen, dass entgegen der neoklassischen Erwartung dadurch die Löhne der Einheimischen nicht gedrückt worden sind. Auch diese Studie führt zu einer bis heute zu beobachtenden hitzigen Kontroverse.
Der Ökonomie-Nobelpreis für David Card ist eine späte Anerkennung für die epochale Studie, die Card zusammen mit Allen B. Krueger bereits 1994 erstellt und darin belegt hat: Gesetzliche Mindestlöhne sind keine Jobkiller. Im Gegenteil, sie tragen durch das Ausbremsen schmutzigen Wettbewerbs mit Niedriglöhnern zur Produktivität der Wirtschaft bei. Entdeckt haben die Autoren den Missbrauch von Marktmacht durch Unternehmen, die auch die Wettbewerbsbedingungen anderer Unternehmen untergräbt. Und der lässt sich nur durch ordnungspolitisch gewollte Mindestlöhne eindämmen. Den Ausgangspunkt dieser Rechtfertigung von Mindestlöhnen bildet das New-Jersey-Experiment von Card und Krueger: Die Mindestlöhne für einfache Arbeit in den Schnellrestaurants der Fastfood-Branche lagen in New Jersey deutlich über der nationalen Mindestvorgabe im Nachbarstaat Pennsylvania. Im diametralen Widerspruch zur neoklassischen Arbeitsmarkttheorie blieb jedoch die Jobkiller-Wirkung im Bundesstaat mit den höheren Mindestlöhnen aus. Die theoretische Erklärung: Die vorherrschende Marktmacht der Unternehmen bei der will-kürlichen Lohnfindung wurde erfolgreich behindert. Und wegen der höheren Löhne stieg die Motivation zur Arbeit, die die steigenden Lohnkosten kompensierte.
Diese Pionierstudie löste eine Flut von Contra- und Pro-Studien aus. Die Methoden sind verbessert worden. Heute besteht - von wenigen Außenseitern abgesehen - auch in der Wirtschaftswissenschaft ein breiter Konsens über notwendige Mindestlöhne zur Stabilisierung der Arbeitsmärkte. Dieser Nobelpreis kommt zwar spät, aber nicht zu spät. Zumindest in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion haben die Forschungsergebnisse auch bei der Einführung und Ausgestaltung der Mindestlöhne in Deutschland Einfluss gehabt. Die markt-liberalen Protagonisten sollten die Ehrung von Card zum Anlass nehmen, ihre Vorschläge auf die Gestaltung von guter Arbeit zu konzentrieren.
Diese mit dem Nobelpreis für Ökonomie ausgezeichneten Forschungsarbeiten zur Notwendigkeit
und Machbarkeit gesetzlicher Mindestlöhne sind auch in Deutschland aufgenommen worden.
Sie haben in der Frage der Jobwirkungen von Mindestlöhnen gegenüber der neoklassischen
Kritik zu einem konstruktiven Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktforschung geführt.
Bei dieser Ehrung einer undogmatisch-realistischen Beschreibung der Funktionsweise
von Arbeitsmärkten, die die Unternehmensmacht gegenüber der systemischen Abhängigkeit
der Beschäftigten offenlegt, sind auch in Deutschland all diejenigen dabei, die sich
für eine staatliche Regulierung der Arbeitsmärkte gegen Armuts-Erwerbsarbeit in der
Wissenschaft und Politik engagieren.