Temporärer Stillstand in der Produktionswirtschaft: Sinnvoll und machbar?
Was heißt das: Alle „gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft“ sollten stillgelegt werden?
Das bewusst aufrüttelnde Ziel ist es, die Infektionsübertragung auf null zu senken. Alle wissen, eine Null-Infektionsrate wird es nicht geben. Aber in Richtung radikaler Reduktion ist ein gesellschaftlicher Kraftakt geboten. Jedenfalls schafft die derzeitige Vorgabe von schwer nachvollziehbaren Inzidenzraten, die in vielen Regionen überschritten werden, in der Öffentlichkeit eher Misstrauen. Das machbare operative Ziel dieser Zero-Strategie lautet: „Wir schränken unsere direkten Kontakte auf ein Minimum – und zwar auch am Arbeitsplatz ein.“ Dabei liegt die Betonung auf Arbeitsplätze auch in der industriellen Produktion. Die Kritik ist, dass bisher Unternehmen der industriellen Produktion als mögliche Infektionsherde bei den Shutdown-Maßnahmen nicht im Mittelpunkt standen. Hier fällt auf, dass die Epidemiologen und Virologen zu den Infektionsgefahren in diesen Produktionsstätten zumindest in der Öffentlichkeit schweigen. Auch werden die damit verbundenen Berufspendler im ÖPNV als Superspreader nicht deutlich identifiziert. Auf der Basis solider Informationen über die erhöhte Infektionsgefahr ist nach Ausschöpfung aller anderen Maßnahmen auch eine kurze Stilllegung „gesellschaftlich nicht dringend erforderlicher Bereiche der Wirtschaft für kurze Zeit“ in Betracht zu ziehen. Dass dies machbar ist, hat die erste Welle des Lockdowns im Frühjahr bewiesen. Damals waren industrielle Produktionsstillstände durch den Ausfall der Exportnachfrage ausgelöst worden. Vor allem durch das Kurzarbeitergeld wurde dieser Stillstand beherrschbar.
Erstes Fazit: Derzeit konzentriert sich die Anti-Corona-Politik stark auf die kontaktintensive Freizeit-, Vergnügungs- und Kulturbranche sowie den Einzelhandel. Die industrielle Arbeitswelt darf nicht länger ausgeschlossen bleiben. Hier geht es auch um die damit verbundenen massenhaften Pendlerverkehre, die gegen Infektionsgefahren nur schwer zu immunisieren sind.
Gibt es konkrete Vorschläge zur Schließung einzelner Unternehmen, welche
Unternehmen werden als systemrelevant ausgeschlossen?
Die Erklärung nennt bewusst keine Unternehmen- bzw. Unternehmensgruppen. Denn im Mittelpunkt
stehen erstens die genaue Analyse der Infektionsbedingungen und zweitens die dagegen
gerichteten Hygiene-Maßnahmen. Wenn diese im Kampf zur Eindämmung der Pandemie nicht
ausreichen, dann ist die zeitlich befristete Schließung von Produktionsstätten unvermeidbar.
In dieser Initiative wird zur operativen Entscheidungsfindung ein Verfahren vorgeschlagen:
Die betrieblichen Interessenvertreter sollen mit ihren Gewerkschaften Vorschläge zum
Schutz der Beschäftigten bis hin zu temporären Schließungen mitgestalten. Es gibt
viele Maßnahmen auch noch vor der Produktionspause, wie die gesetzliche Pflicht zum
Homeoffice, die eine Fortführung eines Unternehmens ermöglichen. Allerdings kann mit
einer handfesten Begründung durchaus die Schließung etwa einer Automobil-Produktionsstätte
für 14 Tage unvermeidbar werden. Dass dies machbar und verkraftbar ist, zeigen die
in der ersten Lockdown-Welle im Frühjahr erforderlichen Produktionsreduktionen infolge
ausfallender Exportnachfrage.
Wie funktionieren Wirtschaft und Gesellschaft in der Produktionspause?
Die Versorgung der Gesellschaft ist durch einen kurzfristigen
Produktionsstillstand nicht gefährdet. Die für die Gesellschaft existenziell wichtigen
Bereiche werden vom kurzfristigen Stillstand ausgenommen. Allerdings ist die Frage,
welche Produktion systemrelevant ist, zu beantworten. Die Erklärung geht davon aus,
dass bei großangelegten temporären Produktionsstillständen die systemrelevanten Produktionsaktivitäten
aufrechterhalten werden müssen. Selbstverständlich gehört dazu das Gesundheitssystem,
die Energieversorgung, Müllabfuhr und staatliche Dienstleistungen wie die Polizei.
Auch deshalb müssen die systemrelevanten Produktionseinheiten viel schärfer als bisher
auf die Infektionsreduktion ausgerichtet werden.
Gesamtwirtschaftliche Wirkungen der „Arbeitspause“: Droht eine Inflation?
In der Tat, die Einkommen der vom Produktionsstillstand Betroffenen
müssen gesichert werden. In der Industrie ist das mit dem Instrument der Kurzarbeit
kontrollierbar zu managen. Dazu kommen viele andere Maßnahmen im Rahmen staatlich
finanzierter Überbrückungsmaßnahmen.
Die Initiativgruppe zu diesem Aufruf geht davon aus, dass der Kurzzeit-Stillstand der Produktion gesamtwirtschaftlich zu Produktionseinbußen führt. Wird jedoch die Pandemie nicht erfolgreich bekämpft, dann fallen die ökonomischen Schäden viel höher aus. Bei der vorherrschenden Beratungsökonomie werden die Kosten des temporären Stillstands nicht den längerfristig viel höheren Schäden eines „muddling through“ gegenüberstellt. Je mehr es gelingt, mit dem kurzfristigen Stillstand in Richtung Nullinfektion zu kommen, um so billiger wird die volkswirtschaftliche Rechnung gegenüber einer sich in Wellenbewegungen vollziehenden Pandemie. Durch die Kurzzeit-Produktionspause ist ein Inflationsproblem nicht zu erkennen. Es ist ja nur eine kurze Stilllegungsfrist geplant, die nach erfolgreicher Überwindung dazu beiträgt, Nachfrage und Angebot wieder in Gang zu bringen. Allein schon wegen des Lagerabbaus bricht in dieser kurzen Frist das Angebot nicht ein. Heute dominiert eher das Problem der Deflation als der Inflation. Das zeigen auch die Inflationsraten um die Null herum in Deutschland. Dazu trägt auch die zurückhaltende Konsumnachfrage durch Corona-Ängste bei. Selbst bei geöffneten Läden fiel in der ersten Lockdown-Phase fiel die Kundschaft aus. Um aus dem Deflationsklima herauszukommen, sind gesamtwirtschaftlich die staatlichen Überbrückungsmaßnahmen sowie die expansive Geldpolitik wichtig.
Wer zahlt die Löhne für die Unternehmen in der Produktionspause?
Die zeitlich befristete Stilllegung verhindert doch gerade den
dauerhaften Arbeitsplatzabbau sowie massive Insolvenzen. Es geht um das Ziel, so schnell
wie möglich den Unternehmen eine Perspektive zu geben. Wie gesagt, während der temporären
Produktionseinstellung erfolgt die Entlohnung im Rahmen des Kurarbeitergeldes. Unternehmen
muss, wie bisher durchaus erfolgt, mit weiteren staatlichen Instrumenten die Überbrückung
ermöglicht werden. Das ist gut angelegtes öffentliches Geld. Dringend muss die Insolvenzausnahmeregel,
die nur noch in diesem Monat gilt, bis zum Ende des Jahres verlängert werden. Die
oftmals beschworenen der Zombie-Unternehmen lassen sich durch Kontrollen durchaus
gegenüber der staatlichen Rettung ausgrenzen.
Was heißt das: „Impfstoffe sind globales Gemeingut“?
Die Betonung „Impfstoffe sind globales Gemeingut“ ist einerseits
eine Chiffre für die Sicherstellung des Gesundheitswesens als eine öffentliche Infrastruktur,
die sich gegen die Privatisierung der letzten Jahre richtet. Anderseits wird mit dieser
Forderung das Impfen als „meritorisches Gut“ betrachtet. Die Wirkungsweise des Impfens
wird im individualistischen Kalkül der Präferenzbildung nicht erfasst. Nur wenn sich
am besten alle impfen lassen, gelingt der individuelle Schutz. Deshalb ist der Impfstoff
samt der Impfung ein Kollektivgut. Deren Einsatz auf der Basis der profitwirtschaftlichen
Marktprinzipien würde große Bevölkerungsteile ausschließen. Auch die Politik in Deutschland
hat das begriffen und stellt die Impfung kostenlos. Natürlich wird nicht eine Enteignung
der Pharmaziekonzerne, die allerdings auch unter Nutzung öffentlicher Mittel den Impfstoff
entwickelt haben, gefordert. Allerdings muss für diese Konzerne übrigens ganz im Sinne
der Wettbewerbswirtschaft der profitwirtschaftliche Marktmissbrauch etwa bei der Preisbildung
zumindest eingeschränkt werden. Wegen der Impfstoffknappheit ist das derzeit schwierig.
In Zukunft sollte der Staat mit seinen Fördermitteln per Regulierung mehr Einfluss
auf die Pharmaproduzenten durchsetzen. Eine weitere Lehre der Corona-Krise ist: Auf
jeden Fall muss eine vorsorgende Vorratspolitik bei Medikamenten gegen Volksseuchen
staatlich gesichert und verantwortet werden. Wie in der Erklärung „Null-Infektionen“
begründet, die Corona-Pandemie lehrt den „Ausbau der sozialen Gesundheitsinfrastruktur“
gegen die profitwirtschaftliche Segmentierung.