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Tarifkampf im öffentlichen Dienst: Herausforderungen in Corona-Zeiten

Oct 21, 2020
Zur dritten Verhandlungsrunde am 22./23.10.2020 in Potsdam

Die dritte Verhandlungsrunde findet vom 22./23. Oktober 2020 in Potsdam statt. Im Mittelpunkt stehen die von Warnstreiks begleiteten Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag (TVöD) für die direkt im öffentlichen Dienst beim Bund oder bei einem der Arbeitgeber in der „Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände“ Beschäftigten. Vom TVöD sind etwa 2,5 Millionen Beschäftigte direkt oder indirekt betroffen: Rund 2,3 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Bundes und der Kommunen sowie weiterer Bereiche, für die der TVöD direkte Auswirkungen hat, sowie rund 225.000 Bundesbeamtinnen und Bundesbeamte, auf die der Tarifabschluss übertragen werden soll.

Neben der Angleichung der Arbeitszeit von Ost an West geht es um die Forderung, die Gehälter um 4,8 Prozent, jedoch mindestens um 150 € bei den unteren Gehaltsgruppen (bis 7,5 Prozent) zu erhöhen. Wenige Tage vor der dritten Runde hat der Verband kommunaler Arbeitgeber einen stark von den gewerkschaftlichen Forderungen abweichenden Tarifvorschlag unterbreiten.

 

Tarifpolitik im Lockdown?
Diese Tarifrunde hat das Zeug, in die Geschichte einzugehen. Erstmals wird unter dem Regime einer Pandemie eine Tarifverhandlung zugunsten der zur Bewältigung dieser extrem belasteten Beschäftigten im öffentlichen Dienst geführt. Hier arbeiten unter anderem Krankenschwestern, Erzieherinnen, Altenpflegerinnen, Verwaltungsangestellte, Klärwerksmitarbeiter, Förster, Ärzte und nach Auffassung von Verdi auch der gesamte ÖPNV für die gut 130 kommunalen Verkehrsbetriebe mit 87 000 Beschäftigten. Grundlegende Fragen stellen sich: Muss nicht unter dieser COVID-19-Pandemie diese Tarifrunde zumindest befristet in den Lockdown geschickt werden? Wie lassen sich diese Tarifforderungen, deren Gesamtbelastung der Präsident und Verhandlungsführer der kommunalen Arbeitgeber auf „mindestens 5,7 Milliarden €“ schätzen, gegenüber den massiv steigenden Staatsschulden vereinbaren? Der Verband kommunale Arbeitgeber begründet seinen auf drei Jahre angelegten Tarifverschlag mit den durch die Corona-Krise massiv belasteten öffentlichen Kassen. Es handelt sich um ein Sparangebot, das nicht durch die produktiven Leistungen der Beschäftigten und deren produktiven Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung bestimmt ist. Diese Ableitung der Lohnpolitik ist nicht seriös begründet. Dagegen stellt sich jedoch die Frage: Sind unter diesem Regime fiskalischer Not die Tarifforderungen der Gewerkschaften zu verantworten?

Klare Antwort: Der Absturz der Gesamtwirtschaft um knapp 6 Prozent in diesem Jahr und damit die Steuerausfälle mit insgesamt 100 Mrd. € allein in diesem Jahr rechtfertigen grundsätzlich nicht, Tarifverhandlungen in den Lock-down zu schicken und dadurch den so dringlich benötigten Beschäftigten eine Sparrunde zu verpassen. Es kommt jetzt darauf an, auch mit dem Mut zum Tabubruch, die Finanzierung der Tarifforderungen zugunsten der viel gelobten „Alltagshelden“, aber auch der Binnenwirtschaft zu sichern.

Wie das finanziert werden soll, dazu lohnt der Blick auf die derzeitige Finanzierung steigender Staatsausgaben einschließlich zur Bekämpfung der Corona-Folgen bei sinkenden Steuereinnahmen. Niemand popagiert derzeit die brandgefährliche Idee, auf die leeren öffentlichen Kassen müsste generell mit Streichungen bei den Staatsausgaben und/oder der Erhöhung wichtiger Steuern reagiert werden. Die Folge wäre ein in seinen Grundaufgaben notleidender Staat. Zusätzlich gefährdet würde der soziale Zusammenhalt. Auch eine Vertiefung der gesamtwirtschaftlichen Krise wäre zu erwarten. Der Staat als kollektive, über dem Wettbewerb stehende Instanz, muss jetzt handeln.

Steuerausfälle zwingen heute schon zur Teilfinanzierung des öffentlichen Dienstes über Kredite
Die Lohnpolitik im öffentlichen Dienst muss in den grundlegenden Zusammenhang eingeordnet werden: Steuern fallen als Folge des wirtschaftlichen Absturzes aus. Auch die Schuldenbremse nach Art. 115 GG sieht in diesem Fall nicht vor, im Ausmaß der Einnahmenverluste Staatsausgaben abzubauen. Die Finanzierung von Staatsaufgaben – auch der dazu erforderlichen Beschäftigten im öffentlichen Dienst – darf nicht von der konjunkturellen Lage abhängig gemacht werden. Es gibt zur Aufrechterhaltung des Staates in dieser Phase nur die Möglichkeit, Kredite aufzunehmen. Hinzu kommen die Kredite zur Finanzierung der zusätzlichen Staatsausgaben infolge der Corona-Krise. Dieser Grundsatz gilt auch für die Finanzierung der Arbeitseinkommen im öffentlichen Dienst. Übrigens wird derzeit bereits ein Teil der Lohnsumme wegen der Steuerausfälle vermittelt über den Gesamthaushalt durch aufgenommene Kredite finanziert. Hieraus leitet sich der Spielraum auch für begründete Lohnerhöhungen ab. Ist die ökonomische Krise überwunden und fließen wieder mehr damit verbunden Steuereinnahmen in die öffentlichen Kassen, dann wird der öffentliche Dienst wieder von der Kreditfinanzierung unabhängig.

Dem Staat bleibt nur die Möglichkeit, seine bisherigen Aufgaben ohne Steuererhöhungen durch den Einsatz der öffentlichen Kreditaufnahme zu sichern. Also, in dieses auch in der Finanzwissenschaft anerkannte allgemeine Muster staatlichen Handelns lässt sich die Finanzierung der tarifpolitischen Forderungen einbetten. Gehaltspolitisches Ziel ist es, in dieser „außergewöhnlichen Notsituation“ (im Schuldenbremse-Art. 115 GG) dem besonders stressigen Leistungsangebot durch motivierte Beschäftigte zu entsprechen. Die Corona-Krise lehrt: Der effiziente Staat mit einem handlungsfähigen öffentlichen Dienst wird mit seinen Gesamtausgaben und damit auch für den Bereich der Personalausgaben mit öffentlichen Krediten gegen die Fiskalkrise infolge von COVID-19 finanziert. Logischerweise erhöht sich der staatliche Finanzierungsbedarf über die Personalausgaben im Ausmaß der angestrebten Tariferhöhungen. Diesem Anstieg der Gehälter stehen Vorteile durch gestärkte Motivation und Identifikation der Beschäftigten im öffentlichen Dienst sowie durch den Beitrag zur Stärkung der Binnenwirtschaft über die private Konsumnachfrage gegenüber. Ist die wirtschaftliche Krise infolge der Corona-Pandemie einigermaßen überstanden, dann kehrt die Finanzierung auch dieser zusätzlichen Personalausgaben in das übliche Muster öffentlicher Haushaltspolitik vor allem über ausreichende Steuereinnahmen zurück.

Die öffentlichen Arbeitgeber sollten auch gegen die durchschaubaren Kampagnen einiger Medien in der aktuellen Tarifrunde den Mut aufbringen, in dieser außergewöhnlichen, durch das Virus erzeugten Krise die Finanzierung über die öffentliche Kreditaufnahme vorübergehend zu nutzen. Den gesamtwirtschaftlichen Spielraum für die öffentliche Kreditaufnahme bestätigte unlängst auch die Deutsche Bundesbank: Niedrige Zinsen und eine Inflationsrate knapp oberhalb von Null sowie institutionelle Anleger, die trotz Minusrenditen den „sicheren Hafen“ der Staatsanleihen nutzen, ermöglichen diese vorübergehende Finanzierung.

Last modified: Oct 21, 2020