Ökonomie-Nobelpreis 2019: Armutsforschung
Brillante „Klempner der Ökonomik“ ausgezeichnet
Der diesjährige Nobelpreis geht an drei Personen: Michael Kremer von der Harvard-University sowie das Forscherehepaar Abhijit Banerjee und Esther Duflo (beide am MIT in Cambridge/USA) teilen sich in diesem Jahr den durch die Schwedische Reichsbank 1969 eingeführten „Alfred-Nobel-Gedächtnispreis“. Dabei wurde nach Elinor Ostrom (2009) immerhin zum zweiten Mal eine Frau für ökonomische Forschungsarbeiten geehrt. Gemeinsam eint das Forschertrio das Ziel, die globale Armut vor allem in den Entwicklungsländern zu erklären und auch erfolgreich zu bekämpfen. Dafür steht das in 17 Sprachen vorliegende Buch des Forscherehepaars von 2011: „Die Ökonomik der Armut – Ein radikales Neudenken im Kampf gegen die globale Armut“ („Poor Economics – A Radical Rethinking of the Way to fight global Poverty“). Neben der Gesundheit, der Transformation der Agrarwirtschaft, aber auch dem Zugang zu Finanzdienstleistungen steht die „Learning Crises“ als Armutsverfestigung im Mittelpunkt. Wie lässt sich etwa am Beispiel Kenia das massive Versagen des Schulsystems trotz Subventionen im Rahmen der Entwicklungshilfe erklären und überwinden? Dazu setzt das Armutsforschungs-Trio die hoch entwickelte Methode zufallsbasierter Feldexperimente ein. Arme werden etwa in Kenia oder Indien zufällig in zwei Gruppen eingeteilt und das Verhalten der mit Hilfen und der ohne Hilfen verglichen (Randomized controlled trial, RCTs). Die Optimierung des Verhaltens beim Umgang mit Subventionen wird allerdings unter Ausschluss der gegebenen Rahmenbedingungen – etwa korrupter Reichtumskonzentration, mangelnder Infrastruktur, religiöser Diskriminierung und politischer Diktatur – verortet. Ein Beispiel aus der Bekämpfung der Armut durch Subventionierung von Reis demonstriert die Relevanz der Forschung: Durch eine ID-Karte, auf der die Ansprüche und der Preis für den subventionierten Reis angegeben sind, konnte die Nutzung dieser Subventionen von 33 auf 50% erhöht werden.
Das Forscherehepaar hat wie auch Michael Kremer experimentell nicht nur vom Labor aus der Universität, sondern auch vor Ort geforscht. Allerdings gibt es in Kreisen aus der dritten Welt durchaus auch Kritik an der Methode. Die Analyse konzentriert sich auf mikroökonomisch analysiertes Verhalten der Armen in den Entwicklungsländern unter bestimmenden Rahmenbedingungen. Abbau von sozialer Ungleichheit, Demokratisierung, Ächtung der Korruption und starke Infrastruktur spielen im Kampf gegen Armut keine Rolle. So hat die deutsche Entwicklungshilfeorganisation GIZ vor Jahren schon mitgeteilt, die experimentelle Feldforschung sei für die Ausstattung und Optimierung landesweit wirkende Maßnahmen nur schwer anwendbar.
Das mikroökonomische Verhalten und die Veränderung der Verhältnisse sollten in der weiteren Forschung verzahnt werden. Esther Duflo bestand in einem Interview in der Neuen Züricher Zeitung auf die Arbeit der Ökonomen im Vergleich mit „Klempnern“. Die Lösung liegt in den mikroökonomischen Details des Verhaltens. Sie wehrte sich allerdings gegen den Vorwurf, Arme als „Versuchskaninchen“ zu nutzen. Barack Obama sie hat zu Recht als Beraterin seiner Regierung eingesetzt.
Die Entscheidung der diesjährigen Vergabe des Wirtschafts-Nobelpreis verdient große Anerkennung. Die Analyse und Bekämpfung der Armut und damit die Relevanz der modernen Wirtschaftswissenschaft werden geehrt. Anerkannt wird gegenüber den jahrzehntelangen unkritischen Rechtfertigungen der Globalisierung eine Forschung über Fehlentwicklungen durch die Verfestigung von Armut nicht nur in den Entwicklungsländern. Die wissenschaftlich fundierte Forschung über die Ärmsten der Armen ist ethisch wertvoll, aber auch politisch wichtig. Positive Erkenntnisse lassen sich gegen künftige Armutsflucht nutzen. Die Methodik der Feldforschung in den betroffenen Ländern wie Kenia an der Prime School oder in Bangladesch prägt das wissenschaftliche Urteil.
Dieser Preis für die Armutsforschung sollte auch in Deutschland zum Ansporn genommen werden, endlich wieder die Forschungsarbeit auf die Entwicklungsländer zu konzentrieren. In den meisten Hochschulen Deutschlands stehen die Analysen des Forscherehepaars zusammen mit Micheal Kremer nicht in den Studienordnungen. Der diesjährige Nobelpreis setzt das Signal: Diese weltweit anerkannte Forschung sollte auch mit den kritischen Hinweisen zur Überwindung der Reduktion der Armutslösung auf mikroökonomisches Verhalten unter gegebenen (schlechten) Rahmenbedingungen in das Lehr- und Forschungsprogramm aufgenommen werden.