Konjunkturelle Turbulenzen 2019: Politik für stabile Arbeit und Umwelt
Erst konjunktureller Rückgang
Nach dem harten Absturz
der Produktion in Folge der Finanzmarktkrise 2009 hat Deutschland auch durch zwei
Konjunkturprogramme und eine kluge Kurzarbeiterregelung überraschend schnell zu einem
recht stabilen Wirtschaftswachstum zurückgefunden. In den folgenden Jahren konnte
im Durchschnitt ein Wirtschaftswachstum von immerhin 2 Prozent erreicht werden. Der
Schock war groß, als in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres die Nulllinie unterschritten
wurde. Deutschland schrammte knapp an einer Rezession vorbei. Die teuer bezahlten
Forschungsinstitute hatten wieder marktgläubig die Aufschwungkräfte überschätzt. Obwohl
die Gefahr der Rezession schon erkennbar war, erwies sich die Prognose vom Herbst
letzten Jahres für dieses Jahr mit 1,4 % als viel zu optimistisch. Auch die Bundesregierung
hat Schritt für Schritt ihre optimistische Wachstumserwartung auf 0,05% zurückgeschraubt.
Die Folgen sinkender Wachstumserwartungen sind für die Staatsfinanzen klar.
Nach der Steuerschätzung in diesem Frühjahr werden gegenüber dem Herbst letzten Jahres
bis 2023 die Steuereinnahmen beim Bund, den Ländern und teils den klammen Kommunen
um insgesamt 100 Mrd. € geringer ausfallen. Da der Bundesfinanzminister seine Finanzplanung
im Januar auf die schon mal reduzierten Einnahmenzahlen bezog, müssen allerdings immer
noch bis 2023 über 10 Mrd. € weniger an Steuereinnahmen beim Bund kalkuliert werden.
Zehn „fette Jahre“. Wer sind die Gewinner und Verlierer?
Wohin driftet das rückläufige Wirtschaftswachstum? Die Antworten reichen von nur
einer konjunkturellen Delle, die auf Sondereinflüsse durch den milden Winter zurückgeführt
wird, bis hin zur R-Sorge, also zu einer Rezession. Dabei ist die pessimistische Abschwung-Vermarktung
durch prägende Printmedien auffällig. Die „Business Week“ nimmt den
konjunkturellen Rückgang als Signal für die „letzten Tage einer Ära“. Ähnlich dramatisch
reagiert der SPIEGEL Anfang Mai mit seiner Titelgeschichte „Auslaufmodell Deutschland:
Die fetten Jahre sind vorbei“. Dem unverantwortlichen Optimismus der letzten Jahre
folgt ein auffälliger Pessimismus. Jedenfalls ist die Instrumentalisierung dieses
Menetekels vom ökonomischen Absturz Deutschlands zugunsten der Profitwirtschaft voll
im Gang. Eilfertig wird trotz positiver Erfahrungen mit der jüngsten expansiven Lohnpolitik
Lohnzurückhaltung gepredigt. Neu ist die Forderung, die Produktions- und Lebensverhältnisse
der gewinnwirtschaftlichen Aneignung der Digitalisierung unterzuordnen. Schließlich
wird vom Staat das Verbot des Schuldenmachens wiederholt und eine eiserne Austeritätspolitik
verlangt.
Offensichtliches Ziel dieses neoliberalen Denkens ist die Rückkehr zu den „fetten Jahren“. Diese Botschaft ist verteilungs-politisch blind. Die Frage, für wen die letzten zehn Jahre „fette“ Beute brachten und wer zu den Verlierern in den letzten zehn Jahren gehört, wird nicht gestellt. Gewinner sind die Vermögenden, vor allem die internationalen Großkonzerne, die Topverdiener und Aktionäre in den Kapitalgesellschaften sowie vor allem die Finanzmarktinvestoren. Gegenüber stehen die Verlierer: Die soziale Spaltung hat zugenommen. Kennzeichen ist die wachsende Armut auch bei Kindern. Der soziale Abstieg aus der Mittelschicht ist vorangeschritten. Während schließlich die Zahl der Erwerbstätigen zugenommen hat, boomt der Niedriglohnsektor mit derzeit über neun Millionen Betroffenen. Die Ursache liegt im nach wie vor geltenden Hartz IV-Sanktionsmechanismus, der Arbeitslose nach einem Jahr in prekäre Jobs zwingt. Auch das gehört zur Bilanz der letzten zehn Jahre: Die sozialen Ängste werden übermächtig und bedrohen durch die Fiktion eines fremdenfeindlichen Nationalismus die Demokratie. Schließlich gehört die Umwelt, die trotz vieler Regulierungen immer noch viel zu intensiv als „Gratisproduktivkraft“ (Karl Marx) genutzt wird, zu den Verlierern, und das sind vor allem künftige Generationen.
Dann geht es wieder aufwärts?
Anstatt die Triebkräfte
der jüngsten Wachstumsdekade zu durchleuchten und die sozial-ökologischen Defizite
zu identifizieren, dominiert in der Politik und beim vorherrschenden ökonomischen
„Sachverstand“ der optimistische Glaube an die schnelle Rückkehr zum Boom im Selbstlauf
der marktwirtschaftlichen Dynamik. So schwärmt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier
von den „Aufschwungskräften, die die Oberhand“ gewinnen und ohne eine aktive Stabilisierungspolitik
im nächsten Jahr wieder 2% Wirtschaftswachstum möglich machen sollen. Dabei scheint
der winzige Zuwachs der Produktion um 0,4% in den ersten drei Monaten dieses Jahres
recht zu geben. Jedoch, die derzeit gute Kauflaune im Bereich des privaten Konsums,
die boomende Bauwirtschaft, aber auch der Sondereffekt milder Winter können nicht
über die wachsenden Risiken in der Binnenwirtschaft, der EU und der Weltwirtschaft
für das exportdominierte Deutschland hinwegtäuschen.
Der Widerspruch der Anhänger vom Wechsel der konjunkturellen Abschwächung schnell zurück auf den Wachstumspfad ist unübersehbar. Einerseits werden zu Recht die unbestreitbaren Ursachen für den Abschwung in diesem Jahr zitiert: der wachsende Protektionismus bis hin zu drohenden Handelskriegen, die Folgen eines unregulierten Brexits sowie Krisenängste in einigen Euro-Ländern und der Türkei. Hinzu kommen Risiken der Realwirtschaft durch absturzgefährdete Finanzmärkte. Hier steht die explodierende Vergabe von Krediten an ohnehin schon überschuldete Unternehmen (Zombie-Unternehmen) im Mittelpunkt. Die faulen Kredite (Leveraged Loans), die in Verbriefungsprodukten verpackt und gehandelt werden, lassen Erinnerungen an die 2008 ausgebrochene Finanzmarktkrise durch den Handel mit faulen Hypothekenkrediten (Subprime-Krise) aufkommen. Auch warnte in diesem Frühjahr die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die Banken vor dem Versuch, ihre überschüssige Liquidität durch aufgeweichte Anforderungen bei der Vergabe von Krediten einzusetzen.
Andererseits lassen die Switche vom Pessimismus zum Optimismus für das kommende Jahr all die Ursachen für die bisherige Konjunkturschwäche nicht mehr gelten. Gehen die marktoptimistischen Prognostiker Deutschlands vom Ende des Trumpschen Protektionismus und des weltweiten Handelsstreites sowie einer problemlosen Lösung im Streit um den Brexit und dem Ende der Finanzmarktrisiken aus? Dabei verschärft Trump mit der Drohung einer neuen Runde von Sonderzöllen gegenüber China sowie der Zusatzbelastung der Automobilexporte aus der EU. Bei diesen hohen Risiken wäre es ehrlich, der Öffentlichkeit würden mit einer Bandbreite etwa zwischen 0 und 1,5% Wirtschaftswachstum die Unwägbarkeiten deutlich gemacht.
Der Rückgang des Wirtschaftswachstums in diesem Jahr ist weniger hausgemacht. Er betrifft, wie unlängst der Internationale Währungsfonds auf seiner Frühjahrstagung betont hat, die gesamte Weltwirtschaft. „Die ganze Welt verliert“, so erklärt der Chef der Welthandelsorganisation (WTO) die Folgen rückläufigen globalen Handels durch nationalen Protektionismus. Die spürt bereits die eigenen Schäden, die Trump seinem eigenen Land verordnet hat. In den USA wird nach 2,9% für 2018 in diesem Jahr mit 2,3 % und im kommenden Wahljahr in den USA nur noch mit 1,9% Wirtschaftswachstum gerechnet. Wegen der hohen Exportlastigkeit ist Deutschland von der Abkühlung der Weltwirtschaft besonders betroffen. Triebkraft ist hier der sich im freien Fall bewegende Industriesektor – vor allem durch die rückläufigen Auslandsverkäufe im Kraftfahrzeug- und Maschinenbau. Dabei hat sich der Produktionsrückgang beim PKW-Absatz, der im Frühjahr letzten Jahres einsetzte, auch durch das weltweit harmonisierte Testverfahren zum Kraftstoffverbrauch und der Abgasemissionen auf dem Rollenprüfstand (WLTP) verstärkt. Insgesamt konnte jedoch der konjunkturelle Rückgang in Deutschland durch die gegenüber der Außenwirtschaft wachsende Bedeutung der Binnenwirtschaft begrenzt werden.
Signale einer Globalisierungskrise: ökonomisch und poli-tisch-nationalistisch
Trotz unterschiedlicher Entwicklungen in wirtschaftsstarken Ländern der Weltwirtschaft,
die grundlegende Wachstumsabschwächung lässt sich nicht auf ein singuläres Ereignis
im Konjunkturzyklus reduzieren. Vielmehr kündigt sich bereits seit einiger Zeit eine
fundamentale Zäsur im Prozess der bisherigen Internationalisierung der Wirtschaft
an. Neu ist: Die Krise der diffusen Globalisierung, die zwischen und in den Ländern
zu massiven Ungleichheiten geführt hat, beginnen am politischen Widerstand der betroffenen
Länder zu scheitern.
* Die bisherige Internationalisierung der Wertschöpfungsketten und der damit einhergehende internationale Handel werden durch einen gefährlichen Rückfall in einen nationalstaatlichen Protektionismus massiv gestört. Statt die derzeit fragil regulierte Weltwirtschaft zu reformieren, zieht sich Donald Trump mit seinem „America first“-Imperialismus auf die nationalstaatliche Konkurrenz mit anderen Ländern zurück.
* Zur Wirklichkeit der Globalisierung gehört die Erfahrung, die versprochenen Wohlstandszuwächse verteilen sich nicht gleichermaßen auf alle. Den hochkonzentrierten Gewinnern steht die große Mehrheit der Verlierer gegenüber. Soziale Abstiegsängste verstärken den Weg in Richtung nationalstaatlicher Lösung. Internationale Konkurrenz und die darauf bezogene Politik wird zum Feindbild und zur Quelle für Fremdenhass eingesetzt. Trump und rechtsnationale Parteien in vielen anderen Ländern instrumentalisieren die real existierenden sozialen Abstiegsängste für einen Rückzug auf die eigene Nation. Das zeigt sich in Deutschland beim Missbrauch der sozialen Ängste für Rechtspropaganda durch die AfD.
Der Teufelskreis zwischen real existierenden Verlierern der Globalisierung und aggressiver Renationalisierung muss durchbrochen werden. In Deutschland sollte die Bekämpfung der derzeit noch moderat daherkommenden Konjunkturkrise als Antwort auf die Krise der Globalisierung verstanden werden.
In Deutschland: Wohlstandsgewinne gerechter verteilen
Für Deutschland eine wirtschafts- und finanzpolitische Alter-native durchzusetzen,
ist die beste Medizin gegen die die soziale Spaltung instrumentalisierender Rechtspolitik:
An der wachsenden Wertschöpfung müssen in der nächsten Wachstumsdekade die Beschäftigten
und sozial Schwachen beteiligt werden. Dazu gehört der Abbau des Niedriglohnsektors
in dem vor allem zuvor Arbeitslose gelandet sind. Zugleich sorgt der Staat für eine
sozial-ökologische Infrastrukturpolitik auch zugunsten künftiger Generationen.
Erst mit dem spürbaren Verschwinden der Ursachen dieser verständlichen Ängste vor dem sozialen Abstieg und der wachsenden Erwerbsarbeitsarmut durch einen handlungsfähigen Staat verlieren die Rechtsparteien an Boden.
Die Gefahren der Abhängigkeit von den durch weltwirtschaftliche Risiken bestimmten Exporte der deutschen Wirtschaft. erzwingt zu einem Kurswechsel. Auf die Anpassung der Exportwirtschaft sollte mit der Stärkung der Binnenwirtschaft geantwortet werden. Bereits in den letzten Jahren hat die Binnenwirtschaft vor allem durch die Bauwirtschaft und den privaten Konsum zum Teil den Rückgang der Exporten kompensieren können. Die wachsende Binnenwirtschaft, die Importe nach sich zieht, reduziert die elenden Leistungsbilanzüberschüsse. Der Erfolg expansiver Lohnpolitik sowie durch Mindestlöhne für die Kaufkraft sollte fortgesetzt werden.
Chancen für Nachhaltigkeit
Derzeit wird über die Aufgaben staatlicher Politik gegen die konjunkturellen
Signale der Globalisierungskrise heftig gestritten. Die Wirtschaft fordert, die Unternehmenssteuern
zu senken. Eine zu hohe inländische Steuerbelastung der Unternehmensgewinne ist jedoch
nicht der Grund dafür, dass trotz der kostengünstigen Finanzierung gegenüber den Gewinnen
zu wenig investiert wird. Die Suche nach den Ursachen der Investitionsschwäche führt
zu den beschriebenen internationalen Risiken (vor allem protektionistische Zollpolitik,
Brexit und fragile Finanzmärkte). Hinzu kommen unzureichende Nachfrageerwartungen.
Würden bei dieser Konstellation Steuern gesenkt, dann wäre nicht gegenüber den Steuerausfällen
durch sinkende Steuersätze mit höheren staatlichen Einnahmen durch die erhoffte Zunahme
der Wertschöpfung zu rechnen. Der historische Beweis: Die massiven Programme zur Unternehmenssteuersenkung
von 2001 und 2008 (heute mit einem einheitlichen Körperschaftsteuersatz von 15% gegenüber
40% für einbehaltene und 30% für ausgeschüttete Gewinne vor 2001) hat wegen der steuerpolitischen
Erfolglosigkeit die Staatsverschuldung erhöht.
Ökonomisch, sozial und ökologisch ist die Realisierung einer öffentlichen Investitionsoffensive
mit dem Ziel der Nachhaltigkeit für künftige Generationen Steuersenkungserwartungen
überlegen. Endlich muss von der restriktiven auf eine expansive Finanzpolitik umgeschaltet
werden. Die Politik billigen Geldes durch die Europäische Zentralbank bietet den monetären
Rahmen für eine expansive Finanzpolitik. Endlich muss die riesige Überschussliquidität
als Nachfrage zu Ausgaben in der Produktion führen. Dass die Pferde am Trog billiger
Liquidität saufen, das liegt derzeit einzig und allein in der Hand der Finanzpolitik.
In den Konjunkturverfall darf jetzt nicht hinein gespart werden. Sinnvolle Projekte
für eine öffentliche Investitionsoffensive liegen seit Jahren in der Schublade. Hinzu
kommt die infrastrukturelle Begleitung der Digitalisierung. Allein der durch die Schuldenbremse
unverantwortlich verschleppte Reparaturbedarf ist ein weiterer dicker Posten im Programm.
Durch einen bundesweiten „Zukunftsinvestitionsfonds“ sollte den Kommunen der Zugang
zur Finanzierung ihrer Investitionen in Schulen, Verkehrssysteme, in die Digitalisierung
und in das Sozialkapital ermöglicht werden. Vorbild ist das ZIP von 1978, durch das
erstmals Konjunkturpolitik über die Gemeinden mit Investitionen in die kommunal-ökologische
Infrastruktur unterfüttert worden ist.