Kühnerts Sozialismusimpuls: Darüber nachzudenken lohnt sich
Vergemeinschaften statt aggressiven Kapitalismus: Vielfalt der Gestaltungsinstrumente
Kevin Kühnerts Thesen wirken schockartig. Sie treffen den Nerv vieler Menschen, die die Marktwirtschaft als aggressive, teils skrupellose Machtwirtschaft erfahren: Seit Jahren boomt im Verlauf des anhaltenden Wirtschaftswachstumes der Niedriglohnsektor mit der derzeit über 9 Millionen Betroffenen. Alters- und Kinderarmut wachsen ebenfalls. Die versprochene Teilhabe aller an der Wohlstandsmehrung durch gewinnwirtschaftlich getriebenes Wirtschaftswachstum entpuppt sich als Systemlüge. Immer noch präsent sind die Millionen von Kleinanlegern, die vom übrigens rot-grünen Schröder-/Fischer-Bundeskabinett durch den Abbau der gesetzlichen Alterssicherung gedrängt wurden, hoch spekulative Anlageprodukte zu kaufen. Viele dieser Anlageprodukte erwiesen sich durch profitwirtschaftliche Zuspitzung als hochgradig vergiftet. Der den Kapitalismus schützende Staat wurde zum teuren Reparaturbetrieb. Nach der noch immer präsenten Finanzmarktkrise spitzt sich die Vertrauenskrise durch die Erfahrungen mit der profitwirtschaftlich getriebenen Immobilienwirtschaft zu. Das öffentliche Gut bezahlbarer Wohnraum wird durch spekulative Finanzinvestoren verknappt. Schließlich demonstriert die Ökokatastrophe das Versagen einer ökologisch-nachhaltigen Wirtschaft. Dazu gehören auch noch die Betrugsmanöver einiger Großkonzerne zu Lasten der Umwelt (Beispiel Dieselskandal). Dabei wird sichtbar, wie die kurzfristig-aggressive einzelwirtschaftliche Profitjagd den Suchprozess nach Innovationen in den Unternehmen hemmt (Umstieg der Mobilität).
Darüber ernsthaft nachzudenken, wie Wirtschaften unter den Zielen effizient, sozial und ökologisch gestaltet werden kann, zeigt sich nicht nur in Protestbewegungen. Schließlich zerbröselt der den sozial-ökonomischen Erfolg über Jahrzehnte in Deutschland sichernde Kitt, die soziale Marktwirtschaft. Die unsere Demokratie gefährdende Akzeptanzkrise, die von rechts brutal zur „völkischen Nationalökonomie“ missbraucht wird, ist unübersehbar.
Deshalb Dank für die Denkanstöße durch Kevin Kühnert, der die vielen Proteste und Frustrationen auf den Punkt bringt. Denken heißt immer Denken in Alternativen. Und dazu gehört auch der Diskurs über die unterschiedlichen Vorstellungen zum Sozialismus als Systemalternative. Dies schließt jedoch auch die Kritik an den Hinweisen zur Frage „Was heißt Sozialismus für Sie, Kevin Kühnert“ ein. Kühnert reduziert die Debatte auf den auch noch sehr nebulös daherkommenden Begriff der Kollektivierung, d.h. soll wohl vor allem Vergemeinschaftung durch Produktionsgenossenschaften heißten. Statt dieses Rohlings sollten die Alternativen je nach Branchen unterschiedlich definiert werden. Dazu gehören auch die unterschiedlichen Instrumente der Bändigung der Kapitalmacht durch Demokratisierung. Kühnert unterscheidet nicht zwischen Privateigentum und die Verfügungsmacht darüber. Die Ordnungspolitik, mit der der Rahmen der Produktionsweise gesellschaftlich-staatlich gesetzt wird, schränkt die Verfügungsmacht ein. Beispiel: In einem ausgewiesenen Wohngebiet gibt es für die Eigentümer keine Möglichkeit, Produktionsstätten einzurichten. Heute kommen auch ökologische Ge- und Verbote bei der Eigentumsnutzung dazu. Gegen die Ausbeutung von Arbeitskräften richtet sich das verfassungsrechtlich gewollte Tarifsystem zur Lohnfindung und die Mitbestimmung.
Beispiel Finanzmärkte: Auf die jüngste Finanzmarktkrise ist mit allerdings noch zu wenig harten Regulierungen auch europaweit geantwortet worden. Hier fordert Kühnert interessanterweise auch nicht (mehr) die Vergemeinschaftung der Deutschen Bank per Genossenschaft. Denn die hat auch durch Eigenverschulden, vor allem aber durch notwendige Regulierungen ihre monopolistische Macht längst verloren.
In der Wohnungswirtschaft geht es auch nicht um die Totalkollektivierung. Das zeigt bereits ein Überblick über die sehr unterschiedlichen Immobilienbesitzer / Vermieter. Vielmehr müssen die von Finanzmarktspekulanten profitwirtschaftlich missbrauchten Wohnungsbestände vergemeinschaftet werden. Dabei steht die Rekommunalisierung im Mittelpunkt. Das ist Wiedergutmachung der Kommunen – in Dresden zusammen mit der Linken – die im neoliberalen Wahn Wohnungsbestände den Spekulanten übereignet haben. Heute gäbe es nicht die Probleme mit dem Immobilienkonzern VOVONIA, wären damals nicht große Wohnungsbestände an dubiose Investoren und Hedgefonds verhökert worden. Was Kühnert also hier fordert, ist doch die Rückkehr zum kommunalen Wohneigentum. Und damit ist sicherlich kein Staatssozialismus à la DDR gemeint. Eine wohnungswirtschaftliche Utopie könnte sein: Wenn jeder seine angemessene Wohnung sein Eigentum nennen könnte, dann wären die Schlossbesitzer und Villenfürsten wohnungspolitisch hinnehmbar. Allerdings könnten die mit einer wirksamen Vermögensteuer einen Beitrag zum Allgemeinwohl (Art. 14 GG) leisten. Warum nicht wieder die sozial-ökologisch regulierte Marktwirtschaft mit unterschiedlichen Eigentumsformen zur Bändigung der einzelwirtschaftlichen Profitgier durchsetzen? Dazu stehen viele Instrumente zur Verfügung.
Mit der Vergemeinschaftung der Großindustrie gerät Kühnert ins Abseits. Das gilt auch für durch die Bremer Jusos nachgelieferte Forderung nach der Vergenossenschaftlichung des Stahlwerks ArcelorMittal in Bremen. Sicherlich muss die aggressive Profitlogik und die Shareholder-Gier über den Aktienbesitz zugunsten der wertschöpfenden Beschäftigten zurückgedrängt werden. Dazu dient am besten der Ausbau von Mitbestimmung in den Betrieben und den Unternehmen. Gegen Ausbeutung der Arbeitskräfte richtet sich das Tarifvertragssystem bei der Lohnfindung. Hinzukommen müssen wichtige staatliche Regulierungen, die etwa ökologische Ziele gegen kurzfristiges Profiterzielen stärken. Jedenfalls reicht die Fantasie ernsthaft nicht aus, ein international aufgestelltes Großunternehmen wie BMW, aber auch Unternehmen etwa aus der Versicherungswirtschaft, wie die Allianz SE, als Genossenschaften zu führen. Die Überlegungen zeigen: Kühnert sei Dank, dass durch ihn endlich mal wieder auf die differenzierte Suche nach angemessenen Eigentumsformen und deren Gestaltung orientiert wird. Zurückgewonnen werden könnte am Ende eine moderne sozial-ökologische Marktwirtschaft, die den Stammtischverdacht, es gehe um die Rückkehr zur DDR-Wirtschaft mit zentralistisch verankerten Volkseigenen Betrieben (VEB) als das, was er ist: agitatorischer Unfug.