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Agenda 2019: Globalisierung, EU, Deutschland sozial, ökologisch, demokratisch gestalten

Jan 6, 2019
Meinung zum Jahresbeginn 2019

gekürzt in der „Frankfurter Rundschau“ vom 3.1.2019

2018 wird als Jahr des folgenreichen Ausstiegs aus jeglichen Regeln für eine Weltwirtschaftsordnung in die Wirtschaftsgeschichte eingehen. Die Globalisierung, die nach dem Zusammenbruch der Systeme vom sowjetischen Herrschaftstyp zur neoliberalen Internationale gehypt wurde und deren Kritiker in völliger Verkehrung ihres Anliegens als Protektionisten diffamiert wurden, hat unübersehbar eine Doppel-Krise erzeugt: Zum einen ist von einem gleichermaßen fairen Handel selbst zwischen den strategisch dominanten Nationen seit Jahren nichts zu erkennen. Zum anderen widerlegt die soziale Spaltung auch in den Metropolen die Verheißung, Globalisierung schaffe „Wohlstand für alle“ vor allem auch für die abhängig Beschäftigten. Das soeben zu Ende gegangene Jahr steht für einen spektakulären Wechsel der Weltwirtschaftspolitik. Die derzeit viel zu brüchige Multipolarität-Weltordnung wurde nicht weiterentwickelt, sondern durch Renationalisierung aggressiv und populistisch zu beenden versucht. In den USA wehrt sich Trump mit seinem „America-First“-Imperialismus gegen die unbestreitbaren gigantischen Warenexport-Überschüsse aus China, der EU, besonders auch aus Deutschland allerdings durch den willkürlichen Einsatz von Schutzzöllen. Diese Politik der Abschottung übersieht, dass dadurch die Weltwirtschaft schrumpfen wird. Zu den Verlierern wird die US-Industrie gehören, während nur die dortigen Multi-Konzerne im Digitalbereich profitieren. Auf Trumps Kritik am Welthandel wird in diesem Jahr mit dem Wiederaufbau eines regulierten Welthandels durch eine Stärkung der Welthandelsorganisation (WTO) geantwortet werden müssen. Aber auch gegen den Anlass des Trumpschen Protektionismus muss vorgegangen werden. So muss auch Deutschland endlich seine gigantischen Handelsbilanzüberschüsse im vergangenen Jahr wieder knapp 8% Leistungsbilanzüberschuss bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt vor allem durch nachhaltige Investitionen in die Infrastruktur und eine angemessene Beteiligung der Lohnabhängigen zur Stärkung der Binnenwirtschaft abbauen.

Die weitere, durch die weltweit monopolisierte Gewinnwirtschaft vorangetriebene Fehlentwicklung der Globalisierung steht im neuen Jahr an vorderster Stelle auf der Agenda. Die auch noch durch die Politik, viele Medien und neoklassische Beratungsökonomen verbreitete Ideologie vom „Wohlstand für alle“ durch ungeschützten Freihandel steht die Wirklichkeit der unübersehbaren Arbeits- und Einkommensverluste vieler Menschen gegenüber. Dadurch erzeugte soziale Ängste werden weit über die Wirtschaft hinaus zum Sprengsatz. Es wird in diesem Jahr durchaus wieder berechtigte Proteste nicht nur in Frankreich gegen die einseitig verteilten Lasten einer Politik im Dienst der Entfesselung der weltweiten Profitwirtschaft geben. Gewiss ist auch, dass die sozialen Abstiegsängste weiterhin für eine nationalistisch-rechte und damit Demokratie bedrohende Politik instrumentalisiert werden. Dafür steht nicht nur Trump, der auch mit „fake News“ die realen Ängste der von Arbeit Abhängigen für eine Politik nationalistisch-rechter Stärke zugunsten seiner weltweit agierenden Konzerne missbraucht. Auch in Deutschland schlachten rechte Parteien verstärkt durch eine tiefsitzende Fremdenfeindlichkeit diese Abstiegsängste aus. Eine dagegen gerichtete Politik zugunsten der Verlierer der Globalisierung durch den Abbau des Niedriglohnsektors, die Stärkung der Tarifbindung und eine aktive Sozialpolitik, die vor den sozialen Belastungen aus dem harten weltweiten Wettbewerb echten Schutz bietet, ist nicht zu erkennen. In 2019 muss der sich bereits im alten Jahr andeutende Ausstieg aus dem Vorrang für Märkte vor sozialer und ökologischer Sicherung konsequent vollzogen werden: Raus aus dem Hartz IV-Mechanismus des erzwungenen Abstiegs im Fall der Arbeitslosigkeit in den bedrohlichen Niedriglohnsektor, lohnende, die Existenz sichernde Erwerbsarbeit durch einen ausreichenden Mindestlohn samt Kontrollen zu dessen Umsetzung, ein machbares Rentensystem gegen Altersarmut unter Verzicht auf eine gesetzlich verordnete Abhängigkeit von den spekulativ bestimmten Finanzmärkten. Darüber hinaus Regulierungen müssen gegen die wachsende Krisenanfälligkeit der Finanzsysteme vor allem durch faule Kredite in den Bankbilanzen sowie die hoch riskanten Schattenbanken weiterentwickelt und die Bankenunion der EU vollendet werden. Schließlich stellt sich die Aufgabe, eine grundlegende Umkehr der Finanzpolitik im neuen Jahr auch in Deutschland durchzusetzen. Die Politik der Schuldenbremse, bei der nicht gefragt wird, was muss der Staat mit welchen Steuern finanzieren, ist gescheitert. Dafür steht der sichtbar gewordene Bedarf an Reparaturen und am Ausbau der öffentlichen Infrastruktur. Überlagert wird der Politikwechsel durch das Handeln gegen soziale Spaltung und Abstiegsängste sowie gegen die schwere Umweltkrise. 2018 steht endgültig für das Jahr der brutalen Manifestation von über Jahrzehnte erzeugter Belastungen, ja Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen. „Hitzezeit“, das Unwort des letzten Jahres, fasst die Widersprüchlichkeit zwischen Badesommer mit dem Wetter für die Ansichtskartenidylle gegenüber der vorangeschrittenen Klimakatastrophe zusammen. Eine konsistente Politik, die die Umwelt entlastet und zugleich die Kosten nicht auf die sozial Schwächsten konzentriert, ist machbar. Auch nach den Betrügereien der deutschen Automobilindustrie muss endlich wieder eine aktiv-staatliche Industriepolitik auf der Basis demokratischer Beteiligung die Leitfunktion der Zukunftsentwicklung übernehmen. Schließlich wird die Querschnittsaufgabe Digitalisierung realisiert werden müssen. Jenseits der Angstmacherei geht es um die Gestaltung auch einer sozial lebenswerten Kommunikationswelt und die Bewältigung der erforderlichen Qualifizierungsaufgaben sowie des massiven Strukturwandels wegen sterbender Arbeitsplätze und neuer Jobs.

Die beste Strategie gegen sich abschottende Renationalisierung auch in Deutschland ist die Weiterentwicklung der EU eben nicht nur als Binnenmarkt, sondern als Sozial- und Umweltunion. 2019 wird auch zum Schicksalsjahr der Zukunft der EU. Der Konzeptionsfehler einer unvermeidbar expansiven Geldpolitik gegenüber einer autoritären Schrumpf-Fiskalpolitik mit der Schulden-bremse muss beendet werden. Es gibt Ansätze einer produktiven Weiterentwicklung der EU als Alternative gegen den erstarkenden völkischen Nationalismus. Die Europäische Gemeinschaft ist auf der Basis eines abgeschotteten Nationalismus ein Widerspruch in sich selbst. Endlich muss entschieden werden, ob Länder, die den demokratischen Grundsätzen nicht entsprechen und die EU nur als fiskalisches Zuschusssystem missbrauchen, weiterhin Mitglied bleiben sollen. Im Umfeld der Diskussion um den Maastrichter Vertrag, der Ende 1990 verhandelt wurde, war immer wieder die Rede von der EU der zwei oder gar drei Geschwindigkeiten.

Last modified: Jan 6, 2019

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