Griechenland – Wieder abhängig von den Finanzinvestoren
Griechenland ist aus der Krise noch lange nicht heraus
Die Schuldenübernahme durch die Troika aus der EU-Kommission, Europäischer Zentralbank
und Internationaler Währungsfonds endet am 20. August 2018. Der 21. August kehrt das
Land in die viel zu wenig ökonomisch vorbereite Abhängigkeit der Finanzmärkte zurück.
Das erwartete Wirtschaftswachstum nach 1,7 % im letzten und knapp 2 % in diesem Jahr
von einem niedrigen Niveau aus und die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit mit durchschnittlich
mehr als 20 Prozent lassen eine eigenständige Zahlungsfähigkeit für neue Kredite in
den nächsten Jahren nicht erwarten. Und da sind noch die Altlasten aus der Finanzierung
der Rettungsprogramme. Die Staatsschulden bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt liegen
derzeit mit 180 Prozent der Wirtschaftsleistung höher als vor der 2010 ausgebrochenen
Krise. Vor allem aber sind die Rettungsmilliarden nicht in die Infrastruktur und die
Stärkung der Wirtschaftskraft geflossen. Da kann es schnell zur neuen Krise kommen,
für die dann die Finanzmärkte üppige Zinsaufschläge fordern.
Troika-Strategie des Heraussparens aus der Krise musste scheitern
Die durch die Geldgeber aufoktroyierte Strategie des Heraussparens aus der Krise
ist jämmerlich gescheitert. Die drei Rettungspakete mit dem insgesamt ausgezahlten
Betrag von über 276 Mrd. € konnten die Gläubiger befrieden. Denn der Großteil der
Mittel ist für Tilgungen und vor allem Zinszahlungen draufgegangen. Für den Misserfolg
der ökonomischen Sanierung Griechenlands verantwortlich ist der durch die Troika aufoktroyierte
Zwang zur Austeritätspolitik. Stephan Schulmeister hat in seinem jüngsten Buch nachgerechnet:
Von 2008 bis 2016 sind die Staatsausgaben um 30% gekürzt worden. Und das heißt Abbau
des öffentlichen Dienstes, Lohnkürzungen, Reduktion sozialer Leistungen bis hin zur
medizinischen Unterversorgung. Und dazu kam noch die Privatisierung nach dem Rosinenpicken-Prinzip
für Investoren aus dem Ausland.
Durch dieses Spardiktat ist die Wertschöpfung
der privaten Unternehmen seit 2007 um knapp 38 % geschrumpft. Getroffen hat das insbesondere
die Kleinstunternehmen, die 60 % zur Wertschöpfung beigetragen hatten. Heute leben
ein Drittel in Griechenland in Armut. Diese Kreditübernahme plus Austeritätspolitik
ist ein erneuter Beleg für den Mega-Irrtum des Neoliberalismus.
Stärkung der Wirtschaft und Infrastruktur nicht im Visier
Es hätte erstens einen Marshall-Plan zur Stärkung der schon vor
der Schuldenkrise schwachen Wirtschaft gebraucht. Statt Demontage wäre die öffentliche
Infrastruktur auch mit Pilotprojekten etwa im Bereich der Solarenergie sinnvoll gewesen.
Die Privatisierung öffentlicher Unternehmen wie zum Beispiel der Flughäfen und der
strategisch wichtigen Häfen war ein Fehler, weil man diese der infrastrukturellen
Gestaltung entrissen und Einnahmequellen des Staates ausgetrocknet hat. Der größte
Fehler der Abwicklung der Schulden über Rettungsprogramme war: Die Tilgungssummen
und Zinszahlungen hätten an das realisierte Wirtschaftswachstum gekoppelt werden müssen.
Liegt künftig beispielsweise die Wachstumsrate mittelfristig unter 2,5 Prozent, dann
wird der Kapitaldienst ausgesetzt. Übrigens, diese ökonomisch und fiskalisch sinnvolle
Strategie ist 1953 beim Londoner Schuldenabkommen für die Bundesrepublik durch Hermann
Josef Abs von der Deutschen Bank durchgesetzt worden. Um nicht missverstanden zu werden,
es gab bei der Griechenlandrettung auch einen wichtigen positiven Beitrag, der bei
der Kritik oftmals unterschätzt wird.
Die drei Rettungsprogramme zur Entkoppelung von den Finanzmärkten waren
richtig
Es war richtig, Griechenland mit den Kreditprogrammen von
den Finanzmärkten abzukoppeln. Auf dem Höhepunkt der Krise wurde massiv durch die
Finanzinvestoren auf die Pleite des Landes gewettet und damit viel Geld verdient.
Dass derartige Spekulationsgeschäfte mit einem Staat in der Eurozone genutzt werden,
hatte man sich vor 2010 nicht vorstellen können. Auch hat die EZB mit dem folgenreichen
Satz ihres Präsidenten im September 2012 die weltweiten Spekulanten in Zaum gehalten:
„What ever it takes“ – was auch komme, der Euro wird gerettet werden. Eine Lehre der
Krise ist bekanntlich auch, dass man im Euroland eine Währungsinstitution braucht,
die so vorausschauend zur Stabilisierung beiträgt.
Die systemische Eurokrise ist erst einmal gebannt
Im Krisenland Griechenland konnte erst einmal die Staatspleite vermieden werden. Gegen
die marktradikale Obsession von der Befreiung eines Krisenlandes aus eigener Kraft
lehrt die Erfahrung: Die Herausnahme aus den Finanzmärkten durch Rettungspakete ist
richtig. Aber die Rettungschancen sind durch das Diktat einer gesamtwirtschaftlich
zerstörerischen und soziale Armut schaffenden Austeritätspolitik behindert worden.
Aus diesem Dilemma zwischen positivem Rettungsprogramm auf der einen Seite und Schrumpfpolitik
auf der anderen Seite lässt sich die Politik Tsipras erklären. Er brauchte die Rettungspakte
und versuchte die Austeritätspolitik allerdings am Ende wegen der Übermacht der Geldgeber
ohne großen Erfolg abzuschwächen. Auch ging seine Hoffnung auf Maßnahmen zur Stärkung
der Wirtschaftsstruktur nicht Erfüllung. Ein Erfolg erzielte Tsipras zusammen mit
Merkel: Die unverantwortliche Grexit-Forderung, die der ehemalige Bundesfinanzminister
Schäuble forciert hatte, wurde versenkt. Der Austritt Griechenlands aus der Eurozone
wäre die größte Katastrophe gewesen. Das hätte zu einer massiven Abwertung der griechischen
Währung geführt und der schon vor der Schuldenkrise schwachen Exportwirtschaft des
Landes hätte nicht profitieren können. Denn die gesamten Exporte mit einer im Vergleich
ohnehin niedrigen Quote bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt konzentrierten sich nur
18 Prozent auf hochwertige Produkte mit einer relevanten Wertschöpfungstiefe. Dagegen
wäre durch die verteuerten importierten Waren eine sich verstärkende Inflation ausgelöst
worden. Die im Durchschnitt ohnehin niedrigen Nominaleinkommen würden real entwertet.
Die Verlierer wären die Einkommensschwachen. Das kann die Vorteile für die deutschen
Touristen nach Griechenland nicht aufwiegen.
Beispiel Griechenland zeigt: Austritt eines Krisenlandes aus dem Eurosystem
vermeidbar
Den Zwang zum Ausscheiden eines Landes aus der Eurozone
wegen einer Schuldenkrise wird es wohl nicht mehr geben. Man hat in der Krise gelernt,
dass man nicht mit dem Feuer spielen darf. Ein Mitglied, zum Beispiel Italien, wird
durch die Eurozone nicht zum Austritt gezwungen werden. Dagegen ist die Gefahr eines
Italienexits durch die innenpolitisch, nationalistischen Kräfte allerdings groß. Aufklärung
über eine erfolgreiche Stabilisierung des Eurosystems muss verbreitet werden.
Weiterentwicklung vom ESM-Rettungsfonds zum Europäischen Währungsfonds
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zieht mit seinen Vorschlägen die richtige Lehre
aus der Eurokrise. Die Währungsunion braucht einen gemeinsamen Krisenfonds, der blitzschnell
reagieren kann. Erinnert sei an den Bundestag der Großteils ohne ausreichende Sachkenntnisse
über die ersten Kreditprogramme auch in Sondersitzungen entscheiden musste.
Eurosystem: Weiterentwicklung durch Renationalisierung gefährdet
Im Mittelpunkt steht eine wichtige Erfahrung aus der Eurokrise: Die EU und das Eurosystem
müssen um die Funktionsfähigkeit zu stärken, ausgebaut werden. Dagegen steht nicht
mehr nur der auf die Märkte setzende Neoliberalismus, der keine Vergemeinschaftung
will. Hinzukommt die rechtspopulistische Politik der Re-Nationalisierung. Dies ist
auch hierzulande durch das Erstarken der AfD spürbar. Lösungen um das gemeinsame europäische
Projekt zu retten, werden dadurch schwerer durchsetzbar. Wenn zum Beispiel Italien
mal Hilfe brauchen wird, dann werden die Widerstände, ihm etwas zu geben, wahnsinnig
groß sein. Am Ende will die Mehrheit der Bevölkerung Italiens die Hilfe nicht haben,
weil auch mit Blick auf Griechenlands sozial-ökonomischen Abstieg die Ängste, dass
damit alles noch schlimmer wird, groß sind.
Was den Kern des Euro-Systems angeht, ist dieses durch die Krisenmaßnahmen auch institutionell mehr zusammengewachsen. Da wurden pragmatische Lösungswege gefunden. Doch führte die Eurokrise und deren Bändigung nicht zu einem neuen Denken, wie man die Institutionen der EU und des Eurolands mittelfristig stärken kann. Eine nachhaltige Lösung zeichnet sich bisher nicht ab. Stattdessen ist das Projekt heute eher durch nationalstaatliche Arroganz gefährdet.