Im Streit um die Eurorettung: Soros gegen Merkel
Besprechung des neuen Buchs von George Soros:
„WETTEN AUF EUROPA – Warum Deutschland den Euro retten muss, um sich selbst zu retten“
gekürzte Fassung erschienen in: Süddeutsche Zeitung vom 22.04.2014 („Zocker und Zauderer“)
George Soros missioniert derzeit mit einer fundamentalen Botschaft zur Rettung der Euro-Zone vor allem in Deutschland. Die Reaktionen auf dieses in eine Wette auf die Zukunft Europas eingepackte Vermächtnis könnten unterschiedlicher nicht sein. Da brilliert der Guru der Finanzmärkte mit dem bitteren Wissen, wie mit Spekulationen profitable Geschäfte gemacht werden können. Dem steht die Kritik an dem skrupellosen Finanzjongleur Soros, der schon 1979 mit Jim Rogers den gefürchteten „Quantum Fonds“ gegründet hatte und heute als Chairman des „Soros Fonds“ fungiert, gegenüber. Dem Wandel vom Saulus des skrupellosen Finanzjongleurs zum Paulus des Gutmenschen, der sich selbst als „finanzieller, philanthropischer und philosophischer Spekulant“ definiert, trauen viele nicht.
Lohnt es sich, das neue Buch dieser immer noch schillernden Figur zu studieren? Vorbehalte sind insbesondere bei den in diesem Buch vorgeschlagenen Maßnahmen zur Euro-Rettung verständlich. Denn es war doch dieser George Soros, der das dem Euro vorangegangene Europäische Währungssystem im September 1992 in eine tiefe Krise stürzte. Mit dem Einsatz von 10 Mrd. $ hat der Spekulantenguru hoch profitabel auf die Abwertung des englischen Pfundes gesetzt. Am Ende musste Großbritannien aus dem gemeinsamen Wechselkurssystem ausscheiden. Mit dem über Nacht gewonnenen Spekulationsgewinn von 1 Mrd. gelang es dem nach seiner Selbstdarstellung „gescheiterten Philosophen“ die britische Notenbank in die Knie zu zwingen. Hat George Soros, der mit Devisenspekulationen auf die Mitgliedswährungen im Europäischen Währungssystem gewettet hatte, heute das Recht, die verunsicherte Öffentlichkeit über die Gründungsfehler des Euro, das ziemlich dilettantische, der Bundeskanzlerin zugerechnete Krisenmanagement sowie die Option der Eurorettung durch eine weitere monetäre, fiskalische und politische Vergemeinschaftung, aufzuklären? Die Antwort ist aus mehreren Gründen eindeutig ja.
Gegenüber der Flut an Analysetexten spricht das gewählte Format für dieses Buch. Eingesetzt wird auf der Basis von lesenswerten Zusammenfassungen zu jeweiligen Themenschwerpunkten eine in vier Kapiteln aufgelöste Interviewform. Wenn auch weite Passagen der Interviews inszeniert wirken, dem EU-Korrespondent vom „SPIEGEL“ Gregor Peter Schmitz ist es gelungen, bisher nicht bekannte, auch wissenschaftlich wichtige Argumentation zu den Ursachen der Eurokrise, den Absturzgefahren sowie den Möglichkeiten der Eurorettung auf dem Hintergrund der exzessiven Finanzmärkte dem mit allen Wassern gewaschenen, aber auch reflektierten Spekulanten zu entlocken. Die Gesprächsdidaktik macht die Lektüre spannend. In vielen Fragen wird Soros mit der üblichen Kritik als skrupelloser Megaakteur des neuen Spekulationskapitalismus direkt konfrontiert. Insgesamt gibt er einen spannenden Einblick in den Einsatz und die Wirkungen von Zockerinstrumenten. Noch mehr zählt, dass er sein Insiderwissen zur Vermeidung von Finanzmarktmanipulationen auch im Umfeld der Eurokrise preis gibt. Im Gespräch stellt er sich selbst die Frage: „Wer ist eher qualifiziert, das System zu reformieren als jemand, der innerhalb des Systems erfolgreich war?“ Die durchaus selbstgefällige Antwort ist klar: „Ich kenne das System besser als seine bestellten Aufseher, schließlich war ich als Investor im Rahmen dieses Systems höchst erfolgreich“. Soros bleibt jedoch bei der Beschreibung seiner zwittrigen Rolle nicht stehen. Unterschieden werden zwischen den eigentlichen Ursachen von Spekulationen und deren profitable Ausnutzung durch Zocker. Politik lenkt gerne mit dem Verweis auf die einzig schuldigen, dämonischen Zocker von ihrem eigentlichen Missmanagement ab. Soros stellt dagegen klar, dass es oftmals die Politik ist, die durch ordnungspolitische Fehlkonstruktionen und mangelnde Entschiedenheit den Nährboden für den Kasinokapitalismus düngt: „Wann immer ich mit Spekulationen erfolgreich war, bewies dies nur eins, dass Fehler oder Schwächen des bestehenden Systems existieren“. Soros scheint seine neue Rolle als doppelter Profiteur zu genießen. Zum einen profitierte er von der Instabilität auf den Finanzmärkten, die auch durch das Fehlverhalten der Politik erzeugt worden ist. Zum anderen nutzt er jetzt dieses profitabel eingesetzte Wissen, um strukturelle Schwächen im Wirtschafts- und Politiksystem abzubauen. Soros macht sich, soweit die Politik seinem Ratschlag folgt, am Ende als „unheimlich anstrengender Spekulant“ selbst überflüssig. Der Gutmensch beschwört heute „das öffentliche Wohl“, freilich ohne auf Spekulationen zu verzichten.
Im Mittelpunkt der Gespräche steht die Absicht von Soros, sein Wissen über spekulative Finanzmärkte im Zusammenspiel mit viel Politikversagen auf das Eurosystem anzuwenden. Sicherlich ist die Zahl der kritischen und affirmativen Euro-Publikationen kaum noch zu überschauen. Dennoch zeichnen sich seine „Wetten auf Europa“ durch besonders Qualität aus. Dabei kommt der Analyse die tiefe Sympathie für Europa durch den in Budapest geborenen und durch die Naziherrschaft in den Untergrund gezwungenen, heutigen US-Bürger zugute. Es geht weit mehr als um den Euro. Europa steht für die vom kritischen Rationalismus nach Karl Popper beeinflusste Vision einer offenen Gesellschaft. Mit seinen Lebenserfahrungen und mit seinen Kenntnissen über den Kasinokapitalismus entwirft Soros ein gescheites Plädoyer für die Rettung der Euro-Währung durch eine Verbreitung und Vertiefung der ökonomischen und politischen Integration Europas. Es lohnt sich für die Skeptiker und Kritiker, diese Gespräche zu ergründen.
Am Anfang steht die beeindruckende Anatomie der Ursachen der Eurokrise. Nicht die späteren Schuldenexzesse einiger Mitgliedsländer, sondern „Strukturfehler der Währungsunion, die ohne politische Union funktionieren sollte“, haben in die Krise geführt. Der Maastrichter Vertrag, den seiner Meinung nach die entscheidenden Politiker von Anfang an nicht verstanden haben, steht für die schweren Gründungsfehler. Ordnungspolitisch kritisiert wird die Annahme dieses Vertragswerks, die besagt, „Ungleichgewichte und Exzesse wären nur im öffentlichen Sektor denkbar… Doch es war der private Sektor, der mit seinen Exzessen die jüngste Weltfinanzkrise verursacht hat“. Bis heute ist dieses Finanzmarktversagen, durch das auch die Staatsschulden im Zuge der Bankenrettung etwa in Irland und Spanien nach oben getrieben wurden, vor allem unter dem Einfluss der Marktfundamentalisten unterschätzt worden. Auch wurde die Aufnahme in die Währungsunion ausschließlich auf monetäre Ziele wie Preisstabilität, an der auch die Staatsverschuldung zu vermessen war, reduziert. Schwere wirtschaftsstrukturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern wurden monetaristisch schlichtweg ausgeblendet. Die Kombination aus Gemeinschaftswährung plus engstirnig verteidigter nationalstaatlicher Souveränitätsrechte zeigt sich im Bail-out-Verbot. Seit dem Maastrichter Vertrag werden anderen Mitgliedsländern und der EU Hilfen auch zur Selbsthilfe zugunsten eines Krisenlands verweigert.
Als die Euro-Krise unvermeidbar ausbrach, wurde ein notwendiger Lernprozess erkennbar. Aus den durch Kohl und Waigel mitverantworteten Gründungsfehlern ist jedoch unter der Führung der deutschen Bundeskanzlerin viel zu wenig gelernt worden. Dazu Soros im Originalton: „Die Regeln und Vorschriften der europäischen Währungsunion haben sich als völlig unbrauchbar erwiesen, sie stehen einer raschen wirtschaftlichen Entwicklung im Weg. Dennoch ist Deutschland entschlossen, um jeden Preis an diesen überholten Regeln festzuhalten“. Soros erinnert an die Lebensweisheit seines Vaters. Er lehrte ihn die Fähigkeit, überkommene, untaugliche Regeln zu überwinden. Soros liefert auch ein Beispiel für den notwendigen Regelbruch. Die bisherigen Finanzhilfen an Krisenländern, die im Gegenzug Einsparungen im öffentlichen Haushalt vornehmen müssen, lösen das Kernproblem der Krisenländer nicht. Daher sollte das Verbot zur Hilfe notleidender Mitgliedsländer durch Eurobonds, für die die Gemeinschaft haftet, abgelöst werden. Ergänzend wären auch Schuldenschnitte sowie die Einrichtung eines Schuldentilgungsfonds für die Krisenländer sinnvoll. Ohne eine weitere Entwicklung zur Haftungs- und Verantwortungsunion sind die Vorteile des Euro-Systems nicht zu haben.
Bei der Frage, wer diese Weiterentwicklung verhindert, gerät Angela Merkel ins Visier. Sie habe mit dem Verdikt …“dass jedes Land einzeln haften werde, nicht die Europäische Union“ die Euro-Krise zu verantworten. Im Kern schaffe ihr untaugliches Krisenmanagement auch Spielraum für Spekulanten, die dann schnell wieder durch die Politik zu Tätern stilisiert werden. Deutschland wird auch für den martialischen Einsparkurs in den Krisenländern, der als Gegenleistung für Finanzhilfen verlangt wird, verantwortlich gemacht. Soros verweist mit den vielen Kritikern zusammen auf die gesamtwirtschaftlich schädlichen Wirkungen dieser Austeritätspolitik. Dadurch werden die Krisenkosten und die Armut in den betroffenen Ländern nach oben getrieben. Soros verortet diese durch Deutschland forcierte Sparideologie im theologisch anmutenden Spannungsverhältnis von Schuld und Sühne. Exzessive Staatsschulden in den „Süd“-Ländern werden als Folge unverantwortlicher Ausgabenexzesse zur gesamtgesellschaftlichen Schuld, die jetzt auch gesühnt werden müsse. Gegen diese Sühneaktionen mit den Instrumenten einer repressiven Finanzpolitik stellt er den US-Marshall-Plan am Ende des Zweiten Weltkriegs: „Amerika war bereit, die Sünden der Vergangenheit vielleicht nicht zu vergessen, aber zu vergeben. Deutschland hingegen scheint es bloß um Sanktionen und Strafe zu gehen, ohne dass das Land dem Rest Europas eine ähnliche Vision bietet, wie sie damals die Amerikaner den Deutschen boten“.
Soros sieht nur einen Lichtblick in dem ansonsten auf nationalstaatliche Souveränität stark eingeschränkten Euro-System. Lob gilt der Europäischen Zentralbank mit ihrer Politik für die gemeinsame Währung. Dabei geht es um das doppelte Ziel der EZB. Einerseits gilt es, die Eurokonjunktur gegen Krisen und Deflation zu stabilisieren. Andererseits muss sie auch mit den umstrittenen Ankäufen von Staatsanleihen auf den Sekundärmärkten der Krisenländer die Zinsdifferenzen so abbauen, dass ihre Geldpolitik greifen kann. Diese monetäre Gemein-schaftsaufgabe wird jedoch durch die auf Schrumpfung angelegte Finanzpolitik konterkariert. Um die EZB aus der Lückenbüßerrolle zu befreien, empfiehlt Soros eine expansive Finanzpolitik und eine Wirtschaftsstrukturpolitik vor allem in den Krisenregionen.
Die Analyse ist eindeutig. Der Euro kann durch eine voranschreitende Vergemeinschaftung gerettet werden. Sollte jedoch Deutschland diesen Kurswechsel weiterhin ablehnen, dann wäre es logisch, aus dem Euro auszusteigen, um den anderen Staaten die Abnabelung zu ermöglichen. Diese Ultima Ratio will Soros verhindern. Deshalb zählt er die negativen Folgen der reetablierten D-Mark für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft auf. Arbeitsplatz- und Wachstumsverluste, steigende Staatschulden, zunehmende Leistungsbilanzdefizite aber auch politische Isolierung und Renationalisierung wären die Folge. Diese Kosten des Euro-Zusammenbruchs demonstrieren, „warum Deutschland den Euro retten muss, um sich selbst zu retten“. Die politisch-ökonomische Dominanz zwingt Deutschland ob es will oder nicht die Führungsrolle beim Ausbau der Währungsunion und deren Einbettung in eine wirtschaftliche und politische Union zu übernehmen: „Das Land müsste ein wohlwollender, ein großzügiger Hegemon werden, so wie die Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg.“